Vom Lesen und vom Schreiben
und Raum in die zweite zurück. Flach wird sein Schaffen nicht, auch als „Fürst der Verzeihung und Entschuldigung“mangelt es ihm nicht an Schärfe. 1971 publiziert er „Irrwisch“. Ein Buch mit Bildern und Texten, eigenständiges Resultat des Versuchs, die aktionistische Vergangenheit aufzuarbeiten. Eigenständig, weil Brus nicht „Verwalter der eigenen Vergangenheit“sein will. Daraus entwickeln sich jene „Bild-dichtungen“, die neben den Aktionen als zweiter wichtiger Beitrag des Künstlers zur Kunstgeschichte gelten. An die tausend sind es bislang. Der „Nur-autor“Günter Brus steht nach wie vor im Schatten des Aktionisten und Bilddichters. Nach Veröffentlichungen unter anderem in Otto Breichas „protokollen“erscheint 1984 der Roman „Die Geheimnisträger“. Eine Phantasmagorie in jenem „Sound“zwischen Herzmanovsky-orlando („HerzmanovskyFurioso“), Kafka, Kubin und Kalauer, der typisch für Brus wird. 1987 folgt „Amor und Amok“, 149 aphoristische Erzählungen auf jeweils weniger als einer Seite.
„Ich kann die Fünftausendseitenschreiber, die durchgehend an einer Sache kleben, nicht begreifen, obgleich ich einen gewissen Respekt vor ihnen habe“, liest man in „Essigsaure Tonerde“(2003, Untertitel „Zartbittere Humoresken“). Ein Buch, zu dessen Beginn Brus eine Figur aus dem Werk eines anderen Paten seiner Literatur auftreten lässt: Onkel Toby aus Laurence Sternes „Tristram Shandy“. In „Essigsaure Tonerde“findet sich auch das Bekenntnis zum „poetischen Akt“, wie ihn bereits 1953 H. C. Artmann „proklamiert“. Poetisch sei, eben nicht an einer Sache zu kleben, vielmehr (so Brus) „eine Zusammenführung von Eigenschaften, die einander fremd sind, die einzeln, für sich, keine Bedeutung haben. An Bedeutung gewinnen sie nur durch die Sprache, durch die Sprache des Dichters.“
Zwischen 2002 und 2010 erscheint die Trilogie „Die gute alte Zeit“, „Das gute alte Wien“und „Das gute alte Berlin“. Zwar nicht 5000, aber doch gut 600 Seiten einer Lebenszeitbeschreibung von Kindheit und Jugend an verschiedenen Orten der Steiermark bis zum Ende des Berliner Exils, aus dem Brus mit Frau Anna und Tochter Diana 1979 nach Graz übersiedelt, wo er bis heute lebt, zeichnet
Aktuelle Ausstellungen
und schreibt. Den literarischen Vorlass kaufte das Land Steiermark 2009 an.
Brus ist nicht nur ein produktiver Autor, er ist auch passionierter Leser. In „Nach uns die Malflut!“(2003) sind pointierte Anmerkungen zu Lektüren zu finden. „Welch ein herrliches Buch, / es legt sich wie ein / blutendes Seidentuch / über das Schwesternherz / meiner Seele“lautet ein Eintrag zu Emily Brontës „Sturmhöhe“. Oder im Zusammenhang mit „David Copperfield“: „Mein Gott, möchte ich gerne / wie Dickens schreiben, / für Dickens möchte ich mich / zur Dürre entleiben. / Verzeih mir, my holy Albion, / diesen Sprachwitz.“
Man darf es schon sagen: Günter Brus’ Sprachwitz schrammt manchmal am Unverzeihbaren. Aber in der Regel ist er klug ätzend, gescheit blitzend und sehr unterhaltsam. Sogar wertvolle Tipps finden sich, folgender etwa im erwähnten 1058-Seiten-kompendium. „Der Sohn: ‚Vater, soll ich jetzt ein Buch von William Faulkner lesen oder einen Film von John Ford anschauen?‘ Der Vater: ‚Mach beides zugleich, mein Sohn!‘“ Günter Brus. Personalezum80. Geburtstag. Galeriekunst & Handel, Graz. Bis 27. Oktober. kunstundhandel.com Wundunculum. Günter Brus und Dieter Roth. Kunsthaus Mürzzuschlag, bis 21. Oktober. kunsthausmuerz.at
Wie mit dem Skalpell. Die Aktionszeichnungen von Günter Brus. Bruseum, Graz. Eröffnung am 27. September, 19 Uhr. Bis 17. Februar 2019. museum-joanneum.at