Kleine Zeitung Steiermark

Merkel-dämmerung

Die einst mächtigste Frau derwelt ist zu einer Getriebene­n geworden. Sie wirktmüdeu­nd gereizt. Viele Möglichkei­ten, einen starken Abgang zu haben, bleiben ihr nun nicht mehr.

- Thorsten Knuf

Kann sich noch jemand an die Zeiten erinnern, als Angela Merkel die Königin der Welt war? Das ist erst etwas mehr als ein Jahr her. Zu Hause galt die deutsche Kanzlerin als unschlagba­r und in Europa war sie das Maß aller Dinge. Als Donald Trump schon zum Us-präsidente­n gewählt, aber noch nicht im Amt war, verabschie­dete sich sein Vorgänger Barack Obama in Berlin von den europäisch­en Verbündete­n. Das wirkte so, als übertrage er Merkel die Führung der westlichen Welt. Und als sich in Frankreich Emmanuel Macron anschickte, den Élysée-palast zu erobern, war er auffällig um die Sympathien der Kanzlerin bemüht.

So gesehen erleben Deutschlan­d und Europa einen atemberaub­enden Autoritäts­verlust. Auf der internatio­nalen Bühne ist von Merkel nicht mehr viel zu sehen. In Europa fehlt ihr die Kraft, sich gemeinsam mit Macron an die Spitze einer Reformbewe­gung zu setzen. In Paris, Brüssel, Wien und anderswo blicken sie mit einer Mischung aus Unverständ­nis und Fassungslo­sigkeit auf das Treiben der deutschen Regierungs­koalition. In Berlin wiederum fällt immer häufiger das Wort „Kanzlerinn­endämmerun­g“.

Gerade erst hat sich die CDU/ Csu-bundestags­fraktion erlaubt, den langjährig­en MerkelVert­rauten Volker Kauder als Vorsitzend­en abzuwählen und ihn gegen denwillen der Kanzlerin durch den unbekannte­n Abgeordnet­en Ralph Brinkhaus zu ersetzen. Der Vorgang fügt sich nahtlos ein in das Chaos der Vormonate. Gleich zwei Mal stand diekoaliti­on vor demaus. Beim ersten Mal ging es um die Zurückweis­ung registrier­ter Flüchtling­e an der Grenze, beim anderen Mal um den Verfassung­sschutz-präsidente­n HansGeorg Maaßen. In beiden Fällen erwies sich Merkel als unfähig, ihre Richtlinie­nkompetenz als Kanzlerin gegenüber CSU-CHEF und Innenminis­terhorst Seehofer durchzuset­zen.

Seit fast 13 Jahren ist Merkel Regierungs­chefin. Die lange Amtszeit, das schwache Ab- schneiden ihrer CDU bei der Wahl 2017, die langen Koalitions­verhandlun­gen und die Konflikte der jüngsten Zeit haben Spuren hinterlass­en. Merkel hatte sich lange überlegt, ob sie noch einmal antreten solle und sich dann angesichts der internatio­nalen Lage doch dazu durchgerun­gen. Sie hat es bisher auch versäumt, ihre Nachfolge zu regeln. pätestens seit dem Aufstand ihrer Fraktion hat es die Welt mit einer Kanzlerin auf Abruf zu tun. Es ist schwer vorstellba­r, dass sie bis zum Ende der Wahlperiod­e in drei Jahren durchhält. Merkels letzte Chance, sich einen starken Abgang zu verschaffe­n, könnte darin bestehen, 2019 nach dem Posten des ständigen Eu-ratspräsid­enten zu greifen. Bisher hat derpole Donaldtusk diesesamti­nne. Tutmerkel das nicht, kann sie versuchen, sich durchzusch­leppen – in der Hoffnung, dass die Koalition hält. Tritt sie von sich aus ab, wird es heißen, die Kanzlerin sei eine Getriebene gewesen. So oder so wird sie in die Geschichte eingehen: als Staatslenk­erin, die sich viel zu lange für unverzicht­bar hielt.

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