Kleine Zeitung Steiermark

Erdo˘gan und die feine Kunst der Realpoliti­k

- Kerem Öktem

Beziehunge­n zwischen Deutschlan­d und der Türkei sind gerade alles andere als herzlich. Zu viel ist da in den letzten Jahren zu Bruch gegangen. Von Erdogansti­raden˘ gegen die Kanzlerin – 2017 warf er Fraumerkel Nazimethod­en vor – über seine flammenden Auftritte vor Türken indeutschl­and bis zurverhaft­ung namhafter deutschtür­kischer Journalist­en reicht die Liste der Entgleisun­gen. Imgegenzug verwischt in der deutschen Debatte nicht selten der Unterschie­d zwischen Erdogan-˘kritik und Türken-bashing. Aberdas ist ein anderesthe­ma. Tatsache ist, dass die Türkei heute alles andere als ein normales Land ist. Seit dem Putschvers­uch im Juli 2016 ist der Rechtsstaa­tweitgehen­d suspendier­t, das Parlament nahezu ausgeschal­tet und die Pressefrei­heit ausgehöhlt. Alle Macht ist in den Händen Erdogans.˘ Dies kann aberweder über die tiefewirts­chaftskris­e hinwegtäus­chen noch über die wachsende Zahl besonders junger Türken, die dem Land scharenwei­se den Rücken kehren: Mehr als 160.000 sind es seit 2016. So verwundert es nicht, dass der Besuch des türkischen Präsidente­n in Berlin auf wenig Gegenliebe stößt. Tausende demonstrie­rten gegen seine autoritäre Führung. Doch trotz der kühlen Grundstimm­ung, trotz kritischer Worte der Kanzlerin erhält Erdogan˘ den großen Empfang. Und dies aus gutem Grund: Für Deutschlan­d und Europa ist eine krisengesc­hüttelte Türkei, gar ein wirtschaft­licher Kollaps ein größeres Übel als das Versagen des türkischen Rechtsstaa­tes. Mehr als drei Millionen Flüchtling­e aus dem Nahen Osten befinden sich zurzeit in der Türkei; eine Zahl, die jederzeit um ein Vielfaches ansteigen kann. Einen Flüchtling­ssommer wie 2015 möchte man in Deutschlan­d vermeiden und daher auch eine Destabilis­ierung der Türkei. Und auf die zahlreiche­n Deutschtür­ken, unter denen viele Erdogan˘ unterstütz­en, ist ebenfalls achtzugebe­n.

das istrealpol­itik. Allerdings überzeugen­d ausbalanci­ert mit einem sachlichen, beharrlich­en Eintreten für den Schutz vonmensche­nrechten und Rechtsstaa­tlichkeit. Mehr kann unter diesen Bedingunge­n nicht erwartet werden.

ist Professor für Südosteuro­pastudien an der Uni Graz

In der deutschen Debatte verwischt nicht selten der Unterschie­d zwischen Erdo˘gan-kritik und TürkenBash­ing.

Newspapers in German

Newspapers from Austria