Die Kassen bleiben krank
Mit ihrer mutlosen Kassenreform verpassen Sebastian Kurz und Heinz-christian Strache eine Jahrhundertchance: Das System bleibt intransparent, ungerecht und unlogisch.
Werden Beamte anders krank als private Arbeitnehmer? Müssen Bauern und Eisenbahner anders behandelt werden als, sagen wir, Maurer oder Installateure?
Es reicht, sich einige vernünftige Fragen wie diese zu stellen, wenn man den Entwurf der türkis-blauen Sozialversicherungsreform bewerten will, der derzeit im Parlament zur Begutachtung aufliegt. Die Antwort fällt ernüchternd aus: „Eine als Strukturreform getarnte Türschildreform“, urteilt etwa der unabhängige Gesundheitsexperte Ernest Pichlbauer.
Wennmansich diereformim Detail besieht, fällt es schwer, zu widersprechen: Ja, die Gebietskrankenkassen werden zu einer „Österreichischen Gesundheitskasse“zusammengelegt – aber in den Ländern bleiben sowohl (verkleinerte) Gremien als auch die Möglichkeit bestehen, mit örtlichen Ärztekammern unterschiedlicheverträge und Honorare zu vereinbaren. Sprich: Die Behandlung eines Patienten in Wien kann und wird wie bisher unterschiedlich viel wert sein wie eine in Graz, in Villach unterschiedlich viel wie in Wels.
Nicht genug damit, dass die regionale Differenzierung beibehalten wird: Auch das althergebrachte Standesdenken schreibt die angeblich „größte Strukturreform der Republik“eins zu eins fort: Beamte und Eisenbahner müssen sich ebenso wenig die „Österreichische“Kasse mit normalen Arbeitnehmern teilen wie Bauern und Selbstständige: Ihnen bleiben eigene Anstalten. Zudem bleiben Hunderttausende Begünstigte von Krankenfürsorgeanstalten diverser öffentlich Bediensteter wie der Grazer, Wiener oder Linzer Beamtenschaft dort mit besseren Leistungen zu günstigeren Konditionen dem österreichweiten Solidarsystem entzogen.
Während noch unklar ist, ob diereformtatsächlich eine Milliarde Euro einsparen wird (wie die Regierung behauptet, ohne dafür Berechnungen vorzulegen) oder zunächst bis zu einer Milliarde an Fusionskosten verursachen wird (wie Experten, die – warum eigentlich? – anonymbleibenwollen, deraustria Presse Agentur vorgerechnet haben), kann man festhalten, dass die Regierung sich hier eine Jahrhundertchance entgehen lässt: österreichweit ein gerechtes, transparentes Gesundheitssystem einzuführen, statt die regionale und ständische Zersplitterung mit neuen Türschildern fortzuschreiben. ls Ausrede muss die heilige, verfassungsmäßig garantierte Selbstverwaltung der Kassen herhalten. Die ist einerseits sowieso Scharade: Gerade einmal 46 Prozent der Versicherten, die Erwerbstätigen, nehmenankammerwahlen teil, von denen die Sozialversicherungsgremien beschickt werden; Pensionisten und Mitversicherte haben nichts mitzubestimmen. Andererseits könnte die Regierung, ginge es tatsächlich um die „größte Reform der Republik“, im Nationalrat auch um Verbündete unter SPÖ oder Neos werben, um einen echten Systemwechsel per Verfassungsmehrheit abzusichern. So, wie der Entwurf steht, ist das schlicht: zu wenig.
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