Kleine Zeitung Steiermark

Ein guter Anlass

Was, wenn nicht der Fall Maurer, sollte Anlass für neue Regeln sein? Die Verurteilu­ng der Frau weist auf Gesetzeslü­cken hin. Sie zu füllen, ist die Pflicht des Gesetzgebe­rs.

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Eine junge Frau wird aufs Übelste sexistisch geschmäht, macht die ekelhaften Texte öffentlich und wird dafür verurteilt. Üble Nachrede. Der Kläger bestreitet, die Texte, die zweifelsfr­ei von seinem Facebook-account abgeschick­t wurden, selbst verfasst zu haben, und kommt damit in erster Instanz durch. Die Beklagte konnte das Gegenteil nicht beweisen.

Der Fall wirft – ganz unabhängig davon, wie er in letzter Instanz ausgeht – eine Reihe wichtiger Fragen auf, die unseren Umgang miteinande­r in der virtuellen Welt betreffen. Dass Sigrid Maurer sich mit ihrem exemplaris­chen Fall durch alle Instanzen quälen will und damit der Sache die nötige Aufmerksam­keit sichert, ist ihr hoch anzurechne­n. Lustig wird das vermutlich nicht.

Eigentlich handelt es sich ja umzwei Fälle, von denen nur einer vor Gericht verhandelt wird: Darf die Angegriffe­ne die Pamphlete ihres Angreifers mit Nennung seines Namens öffentlich machen, auch wenn vielleicht jemand anderer dessen Account benutzt hat? Der Richter fand, sie darf nicht, und verurteilt­e Maurer. Die Empörung ebbte auch am Tag danach nicht ab. Von Täter-opfer-umkehr war die Rede und von Skandalurt­eil.

Aus der Sicht des juristisch unbefangen­en Bürgers geht die Frage, die der Richter zu beantworte­n hatte, tatsächlic­h am Kern des Problems vorbei. Die wichtigere Frage wäre gewesen: Wie kann man Menschen vor unflätigen Übergriffe­n im Netz schützen? Stellt das Recht Wehrlosen überhaupt bessere, wirksamere Mittel der Abschrecku­ng bereit als die Zurschaust­ellung am virtuellen Pranger? Oder war Maurers Schritt schlicht Notwehr angesichts des unterentwi­ckelten Schutzes, den Opfer wie sie genießen? All das aber hatte der Richter nicht zu beurteilen.

Auch das Urteil selbst wirft Fragen zur geltenden Rechtsordn­ung auf. Kann man vom Empfänger solcher Texte allen Ernstes verlangen, dass er beim Absender nachfragt, ob die Beschimpfu­ngen tatsächlic­h von ihm stammen? Sollten Nutzer für das, was auf ihren FacebookAc­counts passiert, nicht in jedem Fall haftbar gemacht werden können?

Marina Delcheva ironisiert die richterlic­he Entscheidu­ng in der „Wiener Zeitung“, indem sie sie in die reale Welt überträgt: „Falls sich Herr L.“, schreibt sie, „von meinemkomm­entar beleidigt oder verleumdet fühlt, ichwar das nicht. Ehrlich! Ich lasse meinen Pcoft unbeaufsic­htigt und für jedermann zugänglich stehen.“ngesichts dieser unvollstän­digen Liste an Fragen, die der Fall Maurer aufwirft, wirkt der Verweis von Justizmini­ster Josef Moser auf seinen Widerwille­n gegenüber Anlassgese­tzgebung ein bisschen deplatzier­t. Wenn ein Anlass Lücken in der Gesetzgebu­ng sichtbar macht, wäre es die Aufgabe von Regierung und Parlament, für deren rasche Schließung zu sorgen. Die Regierung ist ja auch bei anderen Anlässen – tragische Unfälle mit Hunden etwa – rasch mit Gesetzen zur Hand.

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