Angehörigen?
Eine psychische Erkrankung kann die ganze Familie betreffen: worunter Angehörige besonders leiden, wie die Selbsthilfe unterstützt, warum es kein Patentrezept gibt.
Es begann „ohne Vorwarnung“, erinnert sich Josefine More: Ihr damals 23jähriger Sohn studierte in Graz, als er plötzlich „in ein Loch fiel“, wie sie sagt: Er litt an Ängsten und Depressionen, das Gefühl, nichts mehr wert zu sein, quälte ihn. Retrospektiv glaubt More, dass nicht bestandene Prüfungen im Studium der Auslöser gewesen sein müssen. Ihr Sohn begann zwar einetherapie, brach diese jedoch bald wieder ab, da er das Gefühl hatte, es helfe nicht – „danach ist er nie mehr zum Arzt gegangen, denn es bringe ja nix“, sagt More.
Für die Kärntnerin und ihre Familie folgten Jahre, die von verzweifelten Versuchen geprägt waren, den Sohn dazu zu bringen, sich helfen zu lassen. „Wir haben immer wieder versucht, ihn zu motivieren, zum Arzt zu gehen“, sagt More – gleichzeitig schwebte die Gefahr eines Suizids des Sohnes über der Familie. Doch es sollten zehn Jahre vergehen, bis er den Weg ins Krankenhaus fand – und der Weg aus der Krankheit begann.
„Das größte Thema für Angehörige ist, dass die Betroffenen selbst nicht wahrhaben wollen, dass sie krank sind“, sagt Edwin Ladinser, Geschäftsführer des Vereins „Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter“, kurz HPE. Der Verein ist Selbsthilfegruppe und Anlaufstelle für betroffene Angehörige. „Das Patentrezept, wie man einen Angehörigen dazu bringt, Hilfe anzunehmen, gibt es aber nicht“, sagt Ladinser.
Wichtig sei, die Beziehung aufrechtzuerhalten, geduldig zu sein, den richtigen Moment für ein Gespräch abzuwarten. Oft könne es auch helfen, wenn sich Angehörige selbst Hilfe holen und so zeigen: Das bringt etwas. „Man sollte nie Druck ausüben“, gibt Josefine More, die bei HPE Kärnten mitarbeitet, betroffenen Angehörigen mit. Gleichzeitig müsse die Familie aber auch Grenzen ziehen – um nicht selbst durch die Situation krank zu werden.
Jeden Tag zuzusehen, wie ein geliebter Mensch leidet, die Angst, wie es weitergehen soll, oder auch Bedrohungssituationen, wenn schwere psychische Krankheiten wie Schizophrenie akut werden: All das belastet Angehörige. Auch die schwieri- ge Situation, wenn Kinder mit psychisch kranken Eltern aufwachsen, kennen die HPE-BErater: „Es ist wichtig, Kindern und dem sozialennetz zu erklären, dass es Phasen gibt, in denen der Betroffene die Vateroder Mutterrolle nicht erfüllen kann“, sagt Ladinser. Die Kommunikation mit betreuenden Ärzten sei heute deutlich besser: „Das Gespräch mit den Angehörigen ist so wichtig, damit diese wissen, wie esweitergeht, wenn der Betroffene aus der Psychiatrie entlassen wird“, sagt Ladinser.
Mores Sohn fand nach einem langen Krankenhaus-aufenthalt wieder zurück in ein Leben, das ihm Freude bereitet. Der Freundeskreis kehrte zurück, er engagiert sich heute ehrenamtlich. Wünsche hat Josefine More trotzdem: „Es braucht viel mehr Anlaufstellen für Betroffene, vor allem in entlegenen ländlichen Gebieten.“Es fehle an Tageszentren und auch an der Möglichkeit, Teilzeit zu arbeiten – das weißmore aus vielen Gesprächen mit Familien. Denn dann können Betroffene zeigen: „Ich leiste einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft.“