Die Intensität des Marathon-manns
Pianist Daniel Barenboim demonstrierte bei seiner Beethoven-gala volle Reife und Meisterschaft.
Nicht oft hat man die Gelegenheit, innerhalb von neun Tagen von zwei Ausnahmepianisten im gleichen Rahmen ein und dasselbe Beethoven-werk zu hören. Hatte Daniil Trifonov bei seinem Debüt im Musikverein zum ungestümen Ritt durch die „Jagd-sonate“angesetzt, so wählte Daniel Barenboim im Stefaniensaal für das lyrische bis lebhafte Opus 31/3 samt seinem furiosen Finale einen runderen, fließenderenweg. Hätte man diewahl zwischen der Hitzigkeit der Jugend und derweisheit des Alters, sie fiele nicht schwer.
Barenboim, der große Dirigent, Denker und Brückenbauer, hatte schon eingangs desmenschenrechtskonzerts bewiesen, dass das eigentlich Spektakuläre die Intensität ist, mit der er Beethovenswelten nahezu philosophisch durchkämmt: In der 1. Sonate in f-moll, mit der Beethoven inwien 1796 zum ersten Mal vor Publikum aufgetreten war und die er seinem Lehrer Joseph Haydn gewidmet hatte, würdigte er das frühe Genie mit einer sinnlichen Interpretation.
Nachderpausedemonstriertebarenboim dann endgültig seine Reife undmeisterschaft: In der „Großen Sonate für Hammerklavier“von 1818, die lang als unspielbar gegolten hatte, bis Franz Liszt sie mit seinen Magierhänden anpackte, strich der gebürtige Argentinier den Reichtum anmotiven, kühnen Harmonien und rhythmischen Überraschungen heraus und zelebrierte auch elegant die Klangandacht im Adagio mit seinen fast schon romantischen Ausblicken. Standing Ovations nach dem Zieleinlauf nach 45 Minuten für den 75-jährigen Marathon-mann, der verständlicherweise auf eine Zugabe verzichtete und lieber charmant um ein Schläfchen bat – für sich und den eigens für ihn vombelgier Chris Maene gebauten Prachtflügel, mit dem er schon gestern in Prag wieder auf Beethoven-langstrecke ging. Michael Tschida