Recht ins „Neuland“bringen
Die Regierung sucht nach Regeln gegen Hass im Netz – dabei müssten Ankläger und Richter ihre Instrumente nur nützen. Regelungsbedarf besteht an anderen Netz-stellen.
Wir brauchen Waffen und ausreichend Munition, das ist euch ja wohl klar, oder?“Mit diesen Worten kommentierte einer der Facebook-fans von HeinzChristian Strache am Sonntag einen Link, in dem kritisch über den Un-migrationspakt berichtet wurde. Ein weiterer Fan des Vizekanzlers fühlte sich zu einer Ergänzung berufen: „Bin dabei“, schrieb er. Die Liste lässt sich endlos fortsetzen – weil irgendwann jeder Beitrag in dieser Tonlage kommentiert wird.
Heute wird das politische Idol dieser beiden beim Gipfel für Verantwortung im Netz und Gewaltprävention sprechen. Dabei wird es Sachen sagen wie: „Das Internet ist und darf kein gesetzloser Raum sein, wo die üblichen Verhaltensweisen unserer Gesellschaft nicht mehr gelten.“Augenscheinlicher ist der innerewiderspruch nur, wenn der Brandstifter selbstkommandant der freiwilligen Feuerwehr ist.
Neben dieser Polemik noch eine fachliche Frage: Seit wann genau gelten im Internet dieregeln des Strafrechts nicht mehr? Strache und Kanzler Sebastian Kurz wollen heute eine breite Diskussion starten, die „in konkreten Maßnahmen gegen hemmungslose Angriffe imnetz sowie körperliche Gewalt an Frauen münden muss“. Wer schert bei diesem Thema so weit aus, dass es Diskussionsbedarf geben kann? Überhaupt: Wozu der Ruf nach neuen Gesetzen? Drohung, Beleidigung, üble Nachrede, Verhetzung, Nötigung – der Deliktskatalog des Strafgesetzbuchs ist lang und hinreichend determiniert, um der Trolle im Netz habhaft zu werden. Und kein Bangen vor Orwells „1984“! Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung, das in manchen Fällen gegenübersteht, bleibt im Zuge der Rechtsgüterabwägung gewahrt. Es scheitert also nicht an der Gesetzgebung, sondern an der Rechtsdurchsetzung. Bestes Beispiel dafür ist das Sexualund Gewaltstrafrecht. Da wird der Strafrahmen nur zu einem Drittel ausgeschöpft. Was brin- gen neue und schärfere Gesetze, wenn Ankläger und Richter sich vorhandenen Instrumenten verschließen? enn die Bundesregierung schon das Internet als Spielfeld für Legistik erkürt, dann bitte dort, wo man sich ins eigene Fleisch schneidet. 2013 sprach Angela Merkel davon, dass man Recht in das „Neuland“Internet bringen müsse. Es setzte Häme. Dabei meinte sie mehr als AGBS für digitalen Zahlungsverkehr. Merkel sprach von Gefahren für die Demokratie, die wir auch in Österreich spüren. Im letzten Nationalratswahlkampf wurden 2,9 Millionen Kommentare auf Facebook abgegeben. Über eine Million davon von nur 4100 Accounts. Welche Partei hier Chatbots, also Roboter, die posten und liken, für sich arbeiten ließ, lässt sich nicht nachvollziehen – und es ist auch egal, weil es nochweniger rechtliche Konsequenzen hat als eine Überschreitung der Wahlkampfkosten. Dabei unterminiert der Einsatz von Chatbots die Demokratie in einer Dimension, die kein Inserat schafft. Hier fehlt es tatsächlich an rechtlicher Handhabe.
W