Stolperschritte in eine neue Zeit
In der Grazer Burg wurde gestern das Magazin der Kleinen Zeitung zur Ersten Republik präsentiert. Ein Abend mit Blick auf einen Fehlstart, der nicht nur dunkle Seiten hatte.
Der Jubel war gewaltig, als am 12. November 1918 der sozialdemokratische Soldatenrat Ludwig Oberzaucher auf den Balkon des Grazer Schauspielhauses trat und vor 20.000 Menschen die Republik Deutschösterreich proklamierte. Auf den Tag genau 100 Jahre später standen dieses Ereignis und die darauffolgenden abermals im Fokus. Nur wenige Schritte entfernt vom einstigen Geschehen lud Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer gestern in die Burg zur Präsentation des Magazins der Kleinen Zeitung zur Ersten Republik.
„Ein schönes Symbol“sei die zeitliche und örtliche Parallele, wie Schützenhöfer in seiner Ansprache meinte. Das heurige Erinnerungsjahr stehe auch als Symbol dafür, dass das Gespräch über die damalige Zeit nicht ausgedient habe. „Es bleibt unsere Aufgabe, ständig im Bewusstsein zu halten, dass wir Demokratie undmenschenrechte nicht als selbstverständlich gepachtet haben.“
Das Magazin gehe dorthin, „wo die dünnen Bohrer des Journalismus sonst oft nicht hinreichen“, sagte Thomas Götz, stellvertretender Chefredakteur der Kleinen Zeitung in Anwesenheit interessierter Leser, die dem Festakt ebenso beiwohnten wie Landtagspräsidentin Bettina Vollath, die ehemaligen stellvertretenden Landeshauptleute Peter Schachner-blazizek und Leopold Schöggl, der Grazer Altbürgermeister Alfred Stingl, Ak-präsi- dent Josef Pesserl, Bildungsdirektorin Elisabeth Meixner und Elie Rosen, Präsident der Jüdischen Gemeinde Graz.
Eine „verlorene Republik“, wie es im Magazin-titel heißt, das setze jedenfalls voraus, dass bereits etwas Behaltenswertes da gewesen sein müsse, erinnerte Festrednerhelmut Konrad. Der frühere Leiter des Instituts für Geschichte und Ex-rektor der Uni Graz, der das Magazin mitverfasst hat, verwies auf Errungenschaften wie Verfassung, Frauenwahlrecht und die Sozialgesetze sowie auf kulturelle und wissenschaftliche Leistungen, die Österreich damals bei allen Schwierigkeiten zu einem blühenden Land machten. „Dem Staat gelang es aber nicht, das Gewaltmonopol in die
Hand zu bekommen.“Dazu kamen die präsenten Kriegserfahrungen, eine fehlende politische Verständigungsbasis und gefährliche Entwicklungen auf dem Kontinent. Ein Cocktail, der in Ereignisse wie den Justizpalast-brand, die autoritäre Verfassung, Bürgerkrieg und „Anschluss“mündete.
„Das alles verschüttete die Errungenschaften wieder“, so Konrad. Diezweite Chance sollte es erst in der Zweiten Republik geben. Schließlich mit einer Erfolgsgeschichte, die bis heute anhält.