Ausflug in vertraute Verzweiflungen
Martinwalser (91) legt sein gefühlt fünftes Alterswerk vor. Sein „Spätdienst“ist eine weise, vorwiegend lyrische Lebensbilanz.
Für
Gegner: ein gefundenes Fressen“. Martin Walser, kein Feind vehementer verbaler Attacken, liefert seinen Kritikern schon im Geleit eine zynische Gebrauchsanweisung. Mögen sie würgen daran. Denn „Spätdienst“, sein jüngstes Werk, ist stilistisch und formal vor allem eine lyrische Lebensbilanz, eine mitunter tieftraurige, dann wieder sarkastische Expedition durch die vonwalser geschaffenen Literatur- und Denklandschaften. Eine seelische Inventur, keineswegs die erste, eines Großschriftstellers, der seine eigene Größe leidenschaftlich gerne infrage stellt; mitunter larmoyant, häufiger aber zutiefst berührend.
Der erste Teil des Werkes, das natürlich immer wieder in sich ruhen und zur Seite gelegtwerden will, allein schon wegen seiner Dichte an Weltsichten und Erkennt- nissen mit dem Gütesiegel der Dauer, gleicht einem Streifzug durch die vier Jahreszeiten. Aber es wäre nicht Walser, würde nicht oft der Herzensfrost, der Winter und mit ihm der Tod und die Vergänglichkeit den Ton bestimmen.
Häufig eingeschoben sind Aphorismen, die Walser nach wie vor locker aus dem Schreibärmel schüttelt (siehe Zitate nebenan). Und auch an Nonsens nach Art von Christian Morgenstern mangelt es nicht. Walsers Tochter Alissa steuerte Arabesken bei, auch sie führen, verschlungen, ins Offene, dorthin, wo Walser mit Versen wie diesen wartet: „Wäre die Welt ein Papier / ich zerriss es / und schriebe: / Endlich, das isses.“
Er möge zuwarten damit, denn noch ist sein Spätdienst keineswegs zu Ende. Aber um ein poetisches Juwel reicher.
Werner Krause Martin Walser.