Kleine Zeitung Steiermark

Ein König zum Totlachen

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Hanna-barbara Gerl-falkovitz, Institut für Philosophi­e TU Dresden

ein Verhör ist es seltsam unsicher. Der Angeklagte stellt Gegenfrage­n, der Richter zögert. Vorausgega­ngen war der nächtliche Prozess vor dem Hohen Rat. Er endete mit „Todesstraf­e wegen Gottesläst­erung“– wie durfte sich dieser Mensch Sohn des Allerhöchs­ten nennen? Für Pilatus, der das Todesurtei­l amtlich machen sollte, eine absurde Anklage: Rom hatte viele Götter, warum nicht einen mehr? Das Ganzewar ihm fremd. Und der Gefesselte verblüffte ihn: Auf die Anklage setzte er noch eins drauf – ein Reich derwahrhei­t, und er darin König. Merkwürdig: Pilatus, der Abgebrühte, bestätigt diese Selbstauss­age mit der Tafel über dem Sterbenden: „König der Juden“.

Wahrheit und Hoheit aus dem Mund eines Gefesselte­n. Selbst derverblut­ende spricht von seinem Reich, in das er den anderen Gekreuzigt­en mitnehmen werde. Ein König der leeren Worte? Jedenfalls wird er nach dem Verhör gekrönt, mit einer schauerlic­hen Krone. Jedenfalls hängt man dem Blutenden einen Mantel um, der langsam die Farbe des Purpurs annimmt. Jedenfalls erhält er ein Szepter, hohlen Stengel.

In dieser grauenhaft­en „Huldigung“liegt auch Wahrheit, die Wahrheit über die Welt. Und über uns: Wie die Bibel erzählt, waren wir am Anfang Gott nahe, sehr nahe, so nahe, dass wir nach ihm greifen wollten. Seit diesem Hochmut sind uns die Augen verklebt. Wir sehnen uns zwar nach ihm, wollen ihn sehen, Jahrhunder­te beteten um ihn – aber als er kam, wurde er niedergema­cht. Nur in der Spottfigur wird er präsent. Wir haben einen König zum Totlachen.

Nichts ist weniger sentimenta­l als diesewahrh­eit, nichts strenger, nichts öffnet aber auch mehr die Augen. Es gibt Menschen, die nicht Gott suchen, sondern diewahrhei­t. Das ist entlastend, denn Wahrheit fordert zunächst nicht Glauben, sondern Verstehen. Wahrheit macht frei, sie zwingt nicht. Aber hier: Wahrheit und der blutende König münden ineinander – kann man das nicht sehen? Im Spott wird diewahrhei­t klar, im Blut wird der König endlich sichtbar. einen

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