Wo die Liebe hinfällt
ist mehr als 20 Jahre her, dass ich an einem Spätsommertag zum Franziskusheim in Graz-mariatrost fuhr, um einen 16-jährigen unbegleiteten Flüchtling aus Kamerun abzuholen. Für die Formalitäten bedurfte es nur weniger Minuten, inzwischen packte Donatien seine Reisetasche. Siewar nicht groß, dennoch fanden alle seine Habseligkeiten darin Platz.
Als Doni bei uns einzog, war Antonia, meine älteste Tochter, zwölf, meine Jüngste zwei Jahre alt. Nachdem Sophie ihre anfängliche Scheu vor dem dunkelhäutigen Jugendlichen überwunden hatte, kratzte sie ihn ein bisschen an der Wange. Sie wollte überprüfen, ob die Farbe echt war oder sie das Schwarze wegkletzeln konnte.
Auch wenn die Hautfarbe blieb, verschwand sehr schnell das Fremde an ihm, und er wurde ein Teil der Familie. Neun Jahre mussten wir auf seinen positiven Asylbescheid warten, zwei weitere auf seine Adoption, die nach der ersten Anhörung abgelehnt worden war. Astrid und ich waren nun auch per Gesetz seine neuen Eltern (seine leiblichen waren schon lange nicht mehramleben, sein Vater war zu Tode gefoltert worden, weil er sich für Kritiker des diktatorischen Regimes eingesetzt hatte) und unsere acht leiblichen Kinder seine Geschwister.
Doni wurde ein wunderbarer Sohn und Bruder. Wo er war, gab es keine Hektik, es schien, als hätte er mehr Zeit als wir. Die Söhne freuten sich über die wertvolle Verstärkung für ihre Kicks. Doni galt in seiner alten Heimat als große Nachwuchshoffnung im Nationalteam.
Von Beginn an hatte Tony zu ihm eine ganz besondere Beziehung. Aus der anfänglichen Zuneigung wurde Liebe, die beide viele Jahre nicht zulassen wollten. Aber irgendwann wurde die Stimme des Herzens zu groß und immer kleiner die Angst vor dem Gedanken, „dass das nicht geht“. Wo die Liebe hinfällt, da bleibt sie liegen.
Die Auflösung der Adoption dauerte einen Federstrich lang, nun sind Doni und Tony nicht mehr Bruder und Schwester, sondern Mann und Frau. Im Dezember kommt unser drittes Enkelkind auf die Welt. Astrid und ich freuen uns schon sehr darauf. Was es wird, wissen wir nicht: ein kleiner Doni oder eine kleine Tony.
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160 Seiten, 16,90 Euro