Risse im Gebälk
Einheit zu demonstrieren, war eines der wichtigsten Unterscheidungsmerkmale der türkis-blauen Koalition von ihren Vorgängern. Nun zeigen sich erste Haarrisse.
Auchwer sich nicht für Politik interessierte, musste den Unterschied bemerken: Die Neuen, vor fast einem Jahr an die Macht gekommen, stritten nicht öffentlich. Das Zänkische war ja einer der Hauptgründe für die Abwahl der rot-schwarzen Dauerkoalition gewesen. Weil das Gekeppel nicht der demokratischen Meinungsbildung, sondern dem Angriff auf den Verbündeten über die Bande diente, zerfraß es langsam das Image der Regierung.
Das also sollte nicht mehr passieren, und es passierte auch lange nicht. Was auch immer geschah, öffentliche Zurechtweisungen, Widerspruch oder gar Widerstand blieben aus oder fielen sanft aus bis zur Unmerklichkeit. Was sich hinter den Kulissen abgespielt haben mag: Wir wissen es nicht. Lediglich in Brüssel tobte und tobt der Kampf zwischen dem rüpelhaften Harald Vilimsky und dem Övp-fraktionsführer Othmar Karas ganz offen. Aber Brüssel ist weit weg.
Vor diesem Hintergrund überraschte der offene Angriff von Fpö-klubobmann Walter Rosenkranz auf Werner Amon, den türkisen Fraktionschef im Bvt-ausschuss. Rosenkranz warf Amon dessen Nähe zu Mitarbeitern des Övp-dominierten Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung vor, Amon wehrte sich. Nur ein Waffenstillstand konnte verhindern, dass der streitbare Övpler den blauen Innenminister Herbert Kickl im Ausschuss mit heiklen Fragen malträtierte. Dassamon tags darauf die Suspendierung von Kickls wichtigstem Mann, Generalsekretär Peter Goldgruber, verlangte, riss den Graben wieder auf.
Und nun Drasenhofen. Gottfried Waldhäusl, als freiheitlicher Landesrat in Niederösterreich für Flüchtlingsfragen zuständig, hatte Problemfälle unter den unbegleiteten Jugendlichen unter den Asylwerbern in einer aufgelassenen Polizeistation in Grenznähe untergebracht. Vor dem Eingang ließ er einen stacheldrahtbewehrten Bauzaun ziehen. Die schwarze Landeshauptfrau Johanna MiklLeitner beendete das gründlich misslungene Experiment abrupt. Nun betreut die Caritas die Jugendlichen, der Landesrat reagiert verschnupft. olkspartei und Freiheitliche verdanken ihre Wahlerfolge ihrer Migrationspolitik. Auf den ersten Blick schien sie zum Verwechseln ähnlich: Außengrenzen dicht machen, dieattraktivität Österreichs als Zielland verringern, beschlossene Abschiebungen auch durchführen. Fast zwei Drittel der Österreicher gaben dieser Linie ihre Stimme.
Der Protest, der Kanzler Kurz in Vorarlberg von den eigenen Leuten nach der rüden Trennung einer Familie im Zuge der Abschiebung entgegenschlug, war nicht das erste Anzeichen, dass viele Övp-wähler unter denselben Überschriften dann doch etwas anderes verstanden als die FPÖ. Sebastian Kurz muss die Grenze zu offen menschenfeindlichen Aktionen dieser Art unmissverständlich ziehen. Sonst muss man sie auch ihm und seiner Partei anrechnen.
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