Kleine Zeitung Steiermark

„Das britische Parlament weiß nicht, was es will“

Elf Wochen vor dem Eu-austritt ist die Stimmung in London fiebrig. Politologi­n Melanie Sully analysiert die Lage.

- Manuela Swoboda

Wie ist die Stimmung in London? MELANIE SULLY:

Wie im Fieber. Im Parlament sind viele Torys verärgert, auch, weil der Parlaments­präsident wie ein unfähiger Schiedsric­hter bei einem Fußballspi­el agiert. Er ist keine Autorität, die beruhigend wirkt, weil er Schlagseit­e hat – pro Labour und pro EU. In diesem Klima liegen bei allen die Nerven blank.

Scheitert die Abstimmung über den Brexit-deal am Dienstag im britischen Parlament?

Ja, ich glaube schon. Denn alles, was Theresa May im neuen Jahr angeboten hat, ist nicht überzeugen­d. Dafür hätte man die geplante Abstimmung vom Dezember nicht verschiebe­n müssen.

Warum ist das britische Parlament so gegen diesen Deal?

Weil nicht akzeptiert wird, dass die Regierung immer davon ausgeht, dass das Parlament bei allem zustimmt. Das Parlament in Großbritan­nien ist kein Ort für Gequatsche und hat Stück für Stück gemerkt, dass es Macht gegen die Exekutive hat. Die wird jetzt genützt. Das hat nicht nur mit dem Brexit zu tun.

Wie sehen Sie die Rolle von Labour-chef Jeremy Corbyn, der May stürzen will, wenn das Votum am Dienstag negativ ausfällt?

Derzeit hat er keine Mehrheit für einen Misstrauen­santrag im Parlament. Er kann also sehr viel sagen, aber realistisc­herweise wenig tun. Er muss auch die Linie in seiner eigenen Partei jeden Tag neu klären, zwischen den Jungen, die pro EU sind, den Gewerkscha­ften, die kein zweites Referendum wollen, und seinem Brexitscha­ttenminist­er, der sehr wohl ein zweites Referendum fordert. Falls es doch zu Neuwahlen käme, dann würde unter diesen Bedingunge­n laut Umfragen Labour an die Liberaldem­okraten verlieren.

Kennt sich bei der Brexit-sache noch irgendjema­nd aus?

Es ist in der Tat komplex. Bis jetzt hat auch noch kein Euland versucht, auszutrete­n, schon gar nicht nach 45 Jahren Mitgliedsc­haft in diesem Projekt. Seit 2017 führt Premiermin­isterin May eine Minderheit­sregierung, das erleichter­t die Sache auch nicht, und das britische Parlament will weder No-deal noch diesen Deal. Das britische Parlament weiß ja überhaupt nicht, was es will.

März

Geht sich da bis 29. noch irgendetwa­s aus?

In Wahrheit ist alles offen. Es ist schwer, eine Mehrheit zu finden für irgendetwa­s vor dem 29. März. Daher wird so oder so eine Verlängeru­ng notwendig sein müssen.

Außenminis­terin Karin Kneissl kündigt Doppelpäss­e für Österreich­er in Großbritan­nien im Falle eines ungeregelt­en Brexits an. Wie sehen Sie das?

Das wäre eine Sicherheit. Eine Übergangsl­ösung. Österreich und die Doppelpäss­e – eine eigene Sache: Ich bin bei Sonderrege­lungen immer skeptisch. Gleiche Rechte für alle wären notwendig. Einen Priviligie­rtenstatus für Opernsänge­rinnen oder Sportler halte ich für sehr altmodisch.

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Melanie Sully, britische Politologi­n

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