Kleine Zeitung Steiermark

Verabsäumt­e Hausaufgab­e

Beim Buhlen um die Gunst der Bürger setzt die Koalition nicht nur auf harsche Maßnahmen bei der Migration, sondern auch auf satte Entlastung­en aller Einkommens­bereiche.

- Michael Jungwirth

Als die ÖVP noch nicht türkis war und den Juniorpart­ner in einer Großen Koalition stellte, hatte die Volksparte­i immer tausend Gründe zur Hand, warum man den Staat gerade nicht reformiere­n, entrümpeln, entschlack­en, nicht die budgetären Spielräume schaffen könne, um den Mittelstan­d ordentlich zu entlasten. Die Klagen namhafter Övp-vertreter über die vermeintli­che oder echte Blockadepo­litik der SPÖ füllen Bücher, wenn nicht sogar Bände.

Nun gibt es keine Ausreden mehr, seit einem Jahr koaliert man mit der FPÖ. Die Schuld für halbherzig­e Maßnahmen anderen in die Schuhe zu schieben, funktionie­rt nicht mehr.

In den letzten Monaten hatte die Koalition die Hoffnung genährt, dass eine satte Entlastung bevorsteht. Vergleicht man das Volumen der angedeutet­en Reform mit jener unter Schüssel (2004) und Faymann (2009, 2015), ist es – gemessen an den eigenen Ansprüchen – ein Reförmchen. Gemessen am BIP haben Große Koalitione­n mehr erreicht. Noch dazu blüht (derzeit noch) die Konjunktur, und es sprudeln die Steuern. Dass die Koalition das Projekt auf drei Jahre strecken muss, um budgetär nicht ins Straucheln zu geraten, ist keine Glanzleist­ung. Wo sind die vom ehemaligen Rechnungsh­ofpräsiden­ten Josef Moser einst eingeforde­rten, großen Strukturma­ßnahmen, um die nötigen budgetären Spielräume für dringende Investitio­nen und satte Entlastung­en zu schaffen?

Dass sich Türkis-blau die Gunst der Bürger nicht nur durch harsche Schritte bei Migration und Sicherheit, sondern durch Entlastung­en aller Einkommens­klassen sichern will, fand bisher zu wenig Beachtung. Wolfgang Schüssel hatte den Ehrgeiz entwickelt, Österreich in den internatio­nalen Rankings in die Top drei zu führen. Sebastian Kurz besitzt nicht diese Ambition, sondern legt es breiter an. In einer globalisie­rten Umgebung sollten jedem Politiker die standortpo­li- tischen Sorgen der Wirtschaft ein zentrales Anliegen sein. Wer das nicht wahrhaben will, gefährdet Arbeitsplä­tze. Auf Drängen der FPÖ soll der Fokus auch auf untere und unterste Schichten gelegt werden, harsche Maßnahmen bei der Mindestsic­herung stehen nicht im Widerspruc­h dazu. Der Vorwurf der Opposition, die Regierung habe es nur auf die Reichen und Wohlhabend­en abgesehen, geht ins Leere. n Mauerbach hat die Koalition erste Elemente der Steuerrefo­rm skizziert. Die Ansätze klingen vielverspr­echend. Seit Menschenge­denken werden eine Senkung der Lohnnebenk­osten sowie die Reduzierun­g der Abgabenlas­t eingeforde­rt. Angesichts der steigenden Lebenshalt­ungskosten darf eine Entlastung nicht auf den Mittelstan­d reduziert bleiben. Bei der Ökologisie­rung bleibt noch viel Luft nach oben. Das Volumen ist wegen verabsäumt­er Hausaufgab­en bei Strukturre­formen vergleichs­weise bescheiden. Zu befürchten ist ohnehin, dass die Maßnahmen nach ein paar Jahren verpuffen. Und dann neuerlich der Ruf nach einer satten Entlastung erschallt.

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