Mays bitterste Stunde
Die Premierministerin kämpfte im Unterhaus bis zuletzt um ihren Brexit-deal – und erlitt eine beispiellose Niederlage.
Big Bens Zeiger rückten auf 19.39 Uhr vor, als die vier „Tellers“, die Stimmenzähler des Abends, das Ergebnis verkündeten und der Speaker es für alle hörbar wiederholte. Das Unterhaus hat Theresa Mays Brexit-deal abgeschmettert. Nur 202 Abgeordnete stimmten für, 432 gegen den Vertrag, der den Austritt Großbritanniens aus der EU regeln sollte und den May mühsam mit Brüssel ausgehandelt hatte.
Einige Vertragsgegner wussten sich vor Freude über den Sieg nicht zu fassen. Andere saßen stumm da. May in ihrem blauen Jackett, blass aber gefasst, war dagegen erstaunlich schnell wieder auf den Beinen.
Unbeirrt erklärte sie, dass sie nun eben neue Wege verfolgen werde. Zuerst wolle sie aber sicherstellen, dass ihre Regierung noch immer das Vertrauen des Parlaments genieße. Sie lud die Labour-opposition ein, am Mittwoch die Vertrauensfrage zu stellen. In seiner atemlosen Art stimmte Labour-chef Jeremy Corbyn dem prompt zu.
Als wahrhaft historisch hatten die Zusammenkunft dieses Tages auch Mays Kolleginnen und Kollegen empfunden, die sich zu beiden Seiten der Hohen Kammer auf den grünen Bänken drängten. Eine Stimmung feierlicher Nervosität und beklommener Erwartung lag an diesem 15. Februar in Westminster von Anfang an in der Luft.
Von so großer Bedeutung war der Tag, dass die hochschwangere Labour-abgeordnete Tulip Siddiq die Geburt ihres Kindes aufschob und sich von ihrem Mann per Rollstuhl zum Votum ins Unterhaus schieben ließ.
hatten in der Früh die Parlamentarier begrüßt. Eu-flaggen und Union Jacks machten sich vor dem Palast den Platz streitig, „Austritt heißt Austritt“, intonierten zornig die Brexiteers. „Hört mit diesem Chaos auf“, konterten die Pro-europäer in ihren blauen Mützen mit dem Sternenkreis. „Es ist UNSERE Zukunft“, verkündeten die Banner der Befürworter eines neuen Referendums. Die Hardliner, die wie ihre Gegner Mays Deal ablehnen, haben eine andere Lösung: „Kein Deal? Kein Problem.“Ein Echo fanden die widerstreitenden Emotionen auf den Titelseiten der Presse. Einer „historischen Niederlage“ziehe May entgegen, prophezeite die konservative „Times“. Die der Labour nahe Zeitung „Daily Mirror“meinte: „Werte Premierministerin, Ihr Deal wird heute sterben. Wollen Sie nicht endlich Augen und Ohren aufsperren und Ausschau halten nach einem Plan B?“
In der Tat schienen so gut wie alle Abgeordneten Mays Chancen auf einen Sieg abgeschrieben zu haben. May wiederholte bis zum Schluss der Brexit-debatte unermüdlich, dass bei allen Mängeln nur ihr Deal einen „geordneten“Eu-austritt erlaube, wie ihn „der Volkswille“verlange. Ihrem Kabinett hatte sie am Vormittag noch einmal erklärt, dass sie sich als „Dienerin des Volkes“sehe. Sie sei „leidenschaftlich“überzeugt davon, dass sie die Pflicht habe, ihren Auftrag zu erfüllen. Aber das klare Nein hatte sich seit Langem abgezeichnet. Am Ende