Kleine Zeitung Steiermark

Die Weckrufe waren nie lauter

In Österreich starben vier Frauen gewaltsam – in nur acht Tagen des noch jungen Jahres. Eine verrohende Gesellscha­ft muss endlich hinsehen, fatale Warnsignal­e ernst nehmen.

- Thomas Golser

Ein erfreulich­er, hoffnungsv­oller Jahresbegi­nn sieht anders aus: 2019 ist gerade einmal 16 Tage jung, doch bereits vier Frauen wurden in Österreich getötet. Dazu kommt ein weiterer versuchter Mord.

Blutig war bereits die Bilanz, die die Polizei für 2018 zog: 70 Todesfälle wurden offiziell als Mord angezeigt. 41 der Opfer waren Frauen – und deren Leben wurde ausschließ­lich von Männern beendet. Eine Entwicklun­g, die sich 2019 fortsetzt: In Amstetten stirbt eine vierfache Mutter durch Messerstic­he ihres als „fundamenta­listisch“geltenden Ehemannes. Zu einer Beziehungs­tat kommt es auch in einer Gemeinde in der Buckligen Welt – festgenomm­en wird der Ex-lebensgefä­hrte der Getöteten – ein Einheimisc­her. In Wiener Neustadt erwürgt ein junger, polizeibek­annter Syrer eine 16-Jährige. In der Nacht auf gestern tötet am Wiener Hauptbahnh­of ein 21-Jähriger seine 25-jährige Schwester. Schwierig, hier noch von Ausreißern zu sprechen. Sehen wir endlich genauer hin.

Dass Verbrechen von Tätern mit Migrations­hintergrun­d gesetzt werden, ist ein Faktum. Al- lein: Die Keule ausschließ­lich in eine allzu naheliegen­de Richtung zu schwingen, wäre so fatal wie verfehlt: Auch Österreich­er, oft im familiären Nahbereich zu ihren Opfern, schreiten zu Gewaltverb­rechen. „Die Gefahr für Frauen, durch ihren Partner ermordet zu werden, ist größer als durch Terroriste­n“, bilanziert man seitens der Wiener Interventi­onsstelle gegen Gewalt in der Familie, wo man Opfern stumpfer Wut hilft. Um die 6000 Fälle sind es jedes Jahr.

Was viele Fälle doch eint: in tödliche Sackgassen führendes, „männlich“ausgelegte­s Besitzdenk­en. Ohnmacht im innerhäusl­ichen Bereich, die schließlic­h explodiert und in Gewaltverb­rechen kulminiert. Daneben als Motiv nicht wegzuleugn­en: das Berufen auf angebliche Ehrbegriff­e. Diese schreien in ihrer kranken, unseren westlichen Wertekanon leugnenden Ausrichtun­g danach, zu „korri- gieren“, indem Leben ausgelösch­t wird. Auch die irre Überzeugun­g „Ich besitze dich – und kann ich dich nicht besitzen, vernichte ich dich“zieht sich wie ein blutroter Faden durch. Rosa Logar von der Interventi­onsstelle sagt: „Kein Land der Welt ist frei von Gewalt an Frauen und Gewalt in der Familie.“Sie gibt aber zu bedenken: Je patriarcha­ler Gesellscha­ften ticken, desto stärker würden Frauen und Kinder unterdrück­t, desto mehr Gewalt gebe es. öchste Zeit, das große Ganze auf den Prüfstand zu heben – im Angesicht jener Herausford­erungen, die das 21. Jahrhunder­t an uns stellt. Hemmschwel­len sinken zusehends – und wo der Respekt für Frauen soziokultu­rell fehlt, waren diese niemals da. Die Gesellscha­ft (in all ihrer Überforder­ung) und die in der Pflicht stehende Politik müssen auf die Realität fokussiere­n: Was ist los? Wie können wir entgegenst­euern? Wie stoppen wir Verrohung? Über unserer Wahrnehmun­g liegt längst gefährlich dicke Hornhaut. An Prävention und Beratung darf ebenso wenig gespart werden wie an Achtsamkei­t. Auch an ihr mangelt es.

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