Vom Beten und Herumlungern
Ab heute stellt die Autorin Angelika Reitzer im Grazer Literaturhaus die besten literarischen Debüts des letzten Jahres vor – und nimmt das zum Anlass, sich in einer kurzen Textreihe mit dem Anfangen zu befassen. Folge 2: unser Erbe.
In dem nach einem Formel-1rennfahrer benannten Roman „Eins zwei Fittipaldi“des Oberösterreichers Helmut Neundlinger (45) verschlägt es Anfang der 80er eine Gruppe polnischer Flüchtlinge in eine kleine oberösterreichische Gemeinde. Die Oma des Erzählers nimmt die Integration in die Hand und organisiert eine Madonna, zu der man gemeinsam beten kann. Eine Zeit lang geht das gut, aber dann sind die sozialen Spannungen der vor dem Schulturnsaal herumlungernden Polen doch zu groß.
Das könnte einen an die Willkommenskultur des Jahres 2015 erinnern, aber auch an die lange Zeit „Gastarbeiter“genannten Türken und Jugoslawen, die ab den 60ern benötigt wurden und auch irgendwann wieder weg sein sollten. An die in den 90ern zugewanderten Menschen vom Balkan, als Jugoslawienkrise und -kriege begannen. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts in Österreich Helmut Neundlinger. Eins zwei Fittipaldi. Müry Salzmann, 19 Euro.
„Debüts des Jahres“im Literaturhaus Graz
Heute,
David Fuchs:
(Haymon). Alexander (Limmat). (Droschl). Kamber:
Ally Klein: Johanna Maxl:
(Matthes & Seitz). könnte uns denken lassen, dass die Fremden – auch, wenn sie anderen Religionen angehören – wie wir sind, nur dass wir sie halt noch nicht kennen: Auch unsere eigene Identität ist immer nur eine Möglichkeit unter mehreren. Über Fremde nachdenken heißt über sich selbst nachdenken.
Wir leben in einer Welt, die nicht die einfache unserer Kindheit ist, das war sie nie, sondern traditionell, entdeckend, zurückblickend, an Vergangenem hängend, Neues wagend – und vielfältig wie unser kulturelles Erbe. Wenn wir uns darauf besinnen würden, müssten wir uns nicht abschotten und neue Grenzen aufbauen, um diese Besonderheit zu behaupten, könnten sie jenen nahebringen, die bei uns gelandet sind und eigentlich anderes wollen, als vor dem Turnsaal herumzulungern.
geb. 1971 in Graz, lebt in Wien. Ihr jüngster Roman „Obwohl es kalt ist draußen“erschien 2018 bei Jung & Jung.
Angelika Reitzer, Donnerstag,
Julia v. Lucadou: (Hanser). Helmut Neundlinger: Eins zwei Fittipaldi (Müry Salzmann). Denis Pfabe:
(Rowohlt). Barbara Rieger:
Ende, Marie (Kremayr & Scheriau).