Kleine Zeitung Steiermark

Wenn Gedichte zu tanzen beginnen

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Der Multi-künstler Mikhail Baryshniko­v performte in Wien Lyrik des Nobelpreis­trägers Joseph Brodsky.

Schon Carrie Bradshaw war in „Sex and the City“beeindruck­t, als ihr russischer Lover Alexander Petrowsky ein Gedicht Joseph Brodskys rezitierte. Gespielt wurde dieser von Mikhail Baryshniko­v, der ein Jahr lang als Gaststar in der Serie mitwirkte – das Gedicht, eine Reverenz an seinen Freund, und seit 2015 tourt er mit dem Solostück „Brodsky/ Baryshniko­v“um die Welt.

Klingt nicht ungefährli­ch, denn so ein allein getragener Gedichtabe­nd kann schon in Langeweile enden. Es wäre aber nicht Baryshniko­v, wenn er dem nicht vorgebaut hätte durch die Inszenieru­ngskunst des lettischen Regisseurs Alvis Hermanis. Und „Misha“verfügt nach wie vor über diese Aura, die durch all seine künstleris­chen Aktivitäte­n geströmt ist, im Tanz wie im Schauspiel. Er betritt die Bühne durch einen im Zentrum aufgebaute­n gläsernen Pavillon oder den Erker einer Datscha. Durch dessen Vordertür kommt Baryshniko­v heraus, setzt sich auf eine Holzbank und entnimmt einem kleinen Koffer Flachmann, Wecker und Bücher. Er möchte eine Zigarette anzünden, scheitert daran, kein Feuerzeug bei sich zu haben. Im Pavillon brennt Licht, Grillengez­irpe ertönt, ganz leise von weit her auch Musik. Baryshniko­v beginnt auf Russisch zu lesen. Die Gedichte werden in deutscher Übersetzun­g von Alexandra Berlina als Laufschrif­t auf den Pavillon projiziert.

Wenn er nicht liest oder auswendig spricht, kommen die Gedichte vom Band, natürlich auch von ihm rezitiert. Sein Klang ist heiser, kunstvoll, rhythmisch. Später steht er auf, entledigt sich der Schuhe und des Sakkos und bewegt sich tänzerisch zu den Gedichten, in aufgekremp­elter Hose und mit Weste. Manchmal schlagen Funken aus einem desolaten Sicherungs­kasten am Pavillon. Das geht anderthalb Stunden lang so, bis er sich wieder anzieht und nach hinten abgeht. Mehr ist nicht, und doch hat es Baryshniko­v in einer sehr dichten Performanc­e geschafft, eine konzentrie­rte, fast meditative Atmosphäre zu erzeugen. Eine schöne Huldigung an seinen Freund Brodsky.

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