Heckenschützen-demokratie
Das geplante „digitale Vermummungsverbot“schränke die freie Meinungsäußerung ein, wettern die Kritiker. Sie irren. Eine Freiheit, die gesichtslos bleiben will, ist keine.
Gernot Blümel, Medienminister, war diese Woche kein guter Botschafter seines berechtigten Anliegens. In der „Zeit im Bild“fiel der sonst so beherrschte Politiker aus der Rolle. Befragt zum Gesetzesvorhaben, der Vermummung im Netz Einhalt zu gebieten, reagierte Blümel aggressiv, unsachlich und gehässig. Er „trollte“. Blümel schadete sich und seiner Sache, aber immerhin schadete er sich erkennbar und mit offenem Visier. Der Zuseher konnte das Gesicht und das Gesagte zu einer Wahrnehmungseinheit formen und daraus ein Urteil, eine eigene Ansicht destillieren. Das setzt, wie das Wort sagt, das Ansichtig-werden voraus. Es ist ein wesentliches Element von Verstehen und Verständigung.
Es gehört zu den Fehlstellungen der wunderbaren digitalen Welt, dass sie dieses Prinzip offener Kommunikation außer Kraft gesetzt und ersetzt hat durch einen wüsten Maskenball, durch eine gesichtslose Anonymitätskultur. Die Netzwelt bündelt hier zwei Begriffe, die einander eigentlich ausschließen. Überall dort, wo sie flott von „genuiner digitaler
Kultur“spricht, einer von ihr und aus ihr geschaffenen, lohnt es sich, die Ohren anzulegen. Man denke an das Wort Gratiskultur. Beides gehört zum digitalen Gründungsmythos und wurde ideologisch veredelt: die Gratiskultur ebenso wie die Kultur der Anonymität. Die eine hat die freien, etablierten Zeitungen an den Rand des wirtschaftlichen Abgrunds getrieben, und die andere macht aus erwachsenen Menschen eine zügellose Herde von Maskierten. Beides mit dem rauschhaften Gestus der Fortschrittlichkeit, der Freiheit und der Demokratie.
In Wahrheit sind beide digitalen Kulturen Formen von Unkultur. Das Freibier-dogma haben viele Medien überwunden, zum Nutzen der Zeitungen und ihrer Leser. Sie können jetzt als souveräne, zahlende Kunden Ansprüche formulieren, und die Publizistik hat ein berechtigtes Problem, wenn sie hinter den Ansprüchen zurückbleibt. Das hebt das Gebotene. Mit der Anonymitätskultur verhält es sich nicht anders. Sie ist keine. Sie schält das Niedere im Menschen hervor, das Derbe und Rohe. Weil es unerkannt bleibt, fühlt es sich sicher und frei. iskurs ist das Bemühen um Verständigung, aus dem dann etwas entsteht. Im Maskenball der anonymen Foren entsteht nichts, weil das Rohe mit Rohem beantwortet wird, sowohl im Zuspruch als auch im Widerspruch. Dazwischen ist nichts. Was in Zeiten der Polarisierung so notwendig wäre, das Gespräch in die Mitte zurückzuführen, abgestützt durch Respekt, wird hier durch die Verschleierung der Sprechenden torpediert. Sie lässt sich in unfreien Systemen als Widerstands- und Freiheitsraum rechtfertigen, einer entwickelten Demokratie ist das vermummte öffentliche Sprechen unwürdig. Eine Demokratie, die Hecken verteidigen muss, hinter denen sich ihre Bürger verschanzen, wenn sie sich äußern, verspottet sich selbst.
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