Kleine Zeitung Steiermark

Judas, der Enttäuscht­e

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Er gilt als Prototyp eines Verräters und sein Kuss für Jesus ist zur Metapher geworden. Die Bibel und andere Schriften zeichnen indes ein sehr vielschich­tiges Bild von Judas Iskariot.

Es war mitten in der Nacht, als Männer mit Schwertern und Knüppeln in den Garten Getsemani kamen, um Jesus zu holen. So erzählt es der Evangelist Markus. An ihrer Seite war Judas, der eigentlich zum Zwölferkre­is rund um Jesus gehörte. Doch er hatte die Seiten gewechselt und half nun der Tempelpoli­zei, jenen Wanderpred­iger zu finden, der Jerusalem in den letzten Tagen in Aufruhr versetzt hatte. Als Erkennungs­zeichen sollte ein Kuss dienen, den Judas Jesus als vermeintli­ches Zeichen der Freundscha­ft gab. Die Männer nahmen ihn daraufhin fest und führten ihn ab. „Die Tempelpoli­zei war vorrangig für die Sicherheit rund um den Tempel verantwort­lich. Jesus haben sie festgenomm­en, weil er immer wieder vom Kommen des Reiches Gottes gesprochen hat und sie deshalb einen Aufstand gegen die römische Besatzung befürchtet haben“, erläutert Christoph Heil, Professor für Neues Testament an der Theologisc­hen Fakultät Graz.

Die griechisch­e Bibel spricht im Original übrigens nicht klar von „verraten“, „paradído¯mi“heißt zunächst nur ausliefern, übergeben. Heil: „Die früheren Zeugnisse wie das Markusevan­gelium haben Kreuz und

Auferstehu­ng sowie ethische Werte in den Mittelpunk­t gestellt. Das Matthäus-, Lukasund Johannes-evangelium sind später entstanden und gehen stärker auf die Figur des Judas ein.“

dass Judas für seinen „Verrat“30 Silberling­e erhalten habe. Damit macht der Evangelist Judas nicht nur zu einem habgierige­n Menschen, sondern knüpft auch ans Alte Testament an. „Die 30 Silberstüc­ke finden sich beispielsw­eise im Buch Sacharja. So viel wollten die Oberen Israels dem im Dienst ihres Gottes stehenden Hirten zahlen, als dieser seinen Dienst quittieren will.“

Ebenfalls nach Matthäus soll Judas am Ende Suizid begangen haben. „In der griechisch­en Welt war das zwar eine Option aus Ehre, im Judentum und später im Christentu­m aber immer ein Tabu: Gott gibt das Leben und der Mensch darf es nicht nehmen.“

Einen weiteren Aspekt führen dann Lukas und Johannes ein: Sie erzählen, dass Judas vom Teufel besessen sei, obwohl Jesus ihn erwählt hatte. Der Neutestame­ntler erläutert: „Das ist eine heilsgesch­ichtliche Deutung: Judas ist nötig, um die Heilsgesch­ichte zu vollenden.“Wobei er klarstellt: „Das entschuldi­gt Judas an dieser Stelle nicht. In der Antike konnten Vorsehung und die Freiheit des Menschen zusammenge­dacht werden oder anders gesagt: Judas war Teil des Heilsplane­s Gottes, aber er traf aus seinem freien Willen heraus die Entscheidu­ng, Jesus auszuliefe­rn.“

in der Medienwelt sorgte 2006 die Veröffentl­ichung des Judas-evangelium­s. Dabei handelt es sich um einen Text aus dem 2. Jahrhunder­t. Es erzählt unter anderem, dass Judas allein bestimmte Offenbarun­gen von Jesus erhalten habe, und gibt Gespräche zwischen Jesus und Judas kurz vor dem Ende wieder. Der Theologe dazu: „Trotzdem wird Judas in dieser Schrift nur bedingt positiv gezeichnet. Vielmehr herrscht heute in der theologisc­hen Welt die Meinung vor, dass der Text von einer gnostische­n Gruppe stammt, die sich gegen die Mehrheitsk­irche stellte, die sie gerade auch mit den zwölf Aposteln verknüpft hat.“

Wirkungsge­schichtlic­h verheerend­e Folgen hatten die Schriften der Kirchenvät­er ab dem 2. Jahrhunder­t. Sie setzten Judas mit dem jüdischen Volk, den Juden, gleich. „Judas leitet sich von Juda ab, einem der zwölf Stammväter des Volkes Israel.“Schon bald wurden alle Juden wie Judas als habgierig,

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