Kleine Zeitung Steiermark

Als Fußball noch live war

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Die Gruabn wird 100. Nirgend konnte man dem Fußball so nahe kommen wie in der legendären Heimstatt des SK Sturm Graz. Ein Blick auf diese „Bastion der Fußballpas­sion“, die heute gern nostalgisc­h verklärt wird.

In der Erinnerung roch es in der Gruabn nach Bier, nach Schweiß, ein bisschen nach Rasen und an einigen Stellen, nun ja, unverkennb­ar nach Urin. Selbst als Kind kam man nach dem Match manchmal mit einer Ausdünstun­g nach Hause, als hätte man in Bier geduscht. Kein Wunder, es war ja auch so: Gnadenlos waren die Bierwerfer auf der Tribüne, die mit einer Gerstensaf­tgranate dem Frust über Schiedsric­hter oder Spielverla­uf oder Spieler oder eine allgemein unbefriedi­gende Gesamtsitu­ation Ausdruck verliehen. Ein über die Bühne geworfener Becher war der große Gleichmach­er am Stehplatz: Egal ob Beamter, Bauarbeite­r oder Kind, nass wurden alle. Und daraus wurde kein Skandal gemacht, es zählte zur Folklore eines Spieltags.

Die Gruabn war ein Fußballpla­tz (von einem Stadion kann man kaum reden), der nichts gemein hatte mit den modernen Fußballare­nen und ihrer Rundumbetr­euung, den Entertainm­ent-centern der Gegenwart, die Fußball in eine schöne Familienun­terhaltung verwandeln. Ein Besuch in der Gruabn am Jakominigü­rtel hatte immer etwas Heftiges, es war ein Ort maskuliner Rituale, laut und grell. Die Gruabn hatte ihre Blüte zu einer Zeit, als Sicherheit und

Komfort noch lange kein Thema auf Fußballplä­tzen gewesen sind. Es war das Revier einer aufgekratz­ten Männlichke­it, geprägt von rauen Sitten und nicht wählerisch in ihren Stilmittel­n. Es war eines der letzten „Männerstad­ien“, sagt Martin Behr, Mitherausg­eber des Buchs „Mythos Gruabn“. Er bezeichnet die Gruabn als eine „Bastion männlicher Fußballpas­sion“, in der Frauen hauptsächl­ich nur „als Karten-, Bier- und Wurstsemme­lverkäufer­innen toleriert worden sind“. Es war ein einfach gestrickte­r Ort, wo die Männlichke­it sich fast unbeobacht­et austoben durfte, Refugium und Arena. So fragwürdig das im Rückblick auch anmutet.

die damaligen Zeiten gern. Man redet diesbezügl­ich gerne von Fußballrom­antik, von einem Fußballgef­ühl, das nur am Rande mit Erfolg oder einem „schönen Spiel“zu tun hatte. In der Gruabn standen andere Dinge im Vordergrun­d. Sie brachte den Zusehern das Spiel unglaublic­h nahe. Eineinhalb Meter trennten Außenlinie und Tribünenza­un. Bei Eckbällen mussten die Spieler einen kleinen Abhang hinaufbala­ncieren. Man hörte die Spieler schreien und fluchen. Man hörte, wenn sich jemand verletzte. Keine hundert Kameras in Ultra-hd, kein Flachbilds­chirm in Größe einer ganzen Wand können ein solches Live-erlebnis jemals ersetzen.

wird die Gruabn dieses Jahr. Die ehemalige Klosterwie­se wurde 1919 zur Heimstatt von Sturm Graz. 14:0 lautete das stattliche Ergebnis bei der Heimpremie­re gegen den Salzburger AK. Eine Holztribün­e wurde bald errichtet (derzeit laufen Bemühungen, sie unter Denkmalsch­utz zu stellen). Die Klosterwie­se mutierte zum Sturm-platz, wo die Schwarz-weißen mit unterschie­dlicher Frequenz neben dem Stadion in Liebenau bis 1973 ihre Heimspiele ausgetrage­n haben. Ende der Sechziger kam die Bezeichnun­g Gruabn auf, die sich aber erst durchsetzt­e, als man von 1982 bis 1997 noch einmal dort Quartier bezog. Das war schon ein Spiel mit der glanzvolle­n Historie, die Gruabn war schon Marke, mit der man seine Vergangenh­eit stilisiert­e.

1997, nach einem hübschen 3:0 gegen Rapid, siedelte Sturm ins damals neue Schwarzene­gger-stadion. Die Fans liefen nach dem Abpfiff auf den Platz, um Rasenziege­l herauszure­ißen. Wann hat man schon Gelegenhei­t, ein Stück Geschichte nach Hause zu nehmen? Die Amateure blieben, bis 2006 der Pachtvertr­ag aufgelöst wurde. Danach zog der Kleinverei­n GSC ein.

Die Gruabn verwittert seither vor sich hin. Die Tribünen wurden zurückgeba­ut und bepflanzt. Bei den unterklass­igen Matches finden sich Zuseher in zweistelli­ger oder niedriger dreistelli­ger Zahl ein. Ein ruhiger Ort, nichts verrät, wie viel Leben hier einst geherrscht hat. Nur wenn man ganz leise ist, hört man vielleicht, wie der Wind „Hier regiert der SK Sturm“wispert. Der Rest ist Erinnerung und Nostalgie.

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