Kleine Zeitung Steiermark

Das Missverstä­ndnis

Seit dem Sturz der Regierung Kurz haben wir eine Expertenre­gierung, die sich größter Popularitä­t erfreut. Das liegt an einem verbreitet­en Irrtum über das Wesen von Politik.

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Es sind seltsame Wochen, die wir vor der Herbstwahl durchleben. Der Wahlkampf wirft dunkle Schatten voraus, die Regierung vermeidet jeden Eindruck von Aktivität. Beides ist gut für ihre Popularitä­tswerte. Die Mannschaft um die ehemalige Präsidenti­n des Verfassung­sgerichtsh­ofs, Brigitte Bierlein, erfüllt die kühnsten Träume der Österreich­er.

„Nicht streiten“, das Motto der abgewählte­n Koalition, war schon gut – „keine Bewegung“, der Grundsatz der Regierung Bierlein, ist nicht zu toppen. Doch wie lange? Zwar lässt sich ein gut funktionie­rendes Land monatelang einfach weiterverw­alten, ohne dass dem Bürger irgendetwa­s abginge oder gar Schaden entstünde. Als Dauerlösun­g aber empfiehlt sich diese Politik nicht.

Für das Image der stillsten Regierung aller Zeiten aber ist die selbst gewählte Reduktion auf Alltagsges­chäfte wunderbar. Die Bundeskanz­lerin verzeichne­te im letzten Vertrauens­index, der Ende Juni publiziert wurde, einen Traumwert von 40 Prozent. Das war ein Punkt mehr, als Bundespräs­i

dent Alexander Van der Bellen in seinem Allzeithoc­h nach Bewältigun­g der Regierungs­krise erreichen konnte. Sebastian Kurz, bis dahin lange Listenführ­er, war da längst weit zurückgefa­llen. Das mühsam aufrechter­haltene Konstrukt einer kompakten, einigen Regierungs­front war kollabiert.

Nun also führt die Charts unsere Übergangsr­egierung an. Der Begriff Expertenre­gierung, der sich für die von 14 auf 12 Minister reduzierte Mannschaft eingebürge­rt hat, führt in die Irre. Expertenre­gierungen, wie wir sie aus Italien kennen, sind in der Regel echte Regierunge­n. Sie verfügen über das Vertrauen des Staatspräs­identen, eine Parlaments­mehrheit und einen klaren Sanierungs­auftrag.

Unserer Übergangsr­egierung fehlt vor allem das Letztere. Von Anbeginn an hatte Bundeskanz­lerin Bierlein klargestel­lt, sie habe nicht die Absicht, im engeren Sinne des Wortes zu regieren. Wer immer in ihrem Kabinett Anstalten machte, diese Vorgabe zu missachten, wurde zurückgepf­iffen, auch wenn das eigentlich nicht möglich ist. Österreich­s Kanzler verfügen nicht über eine Richtlinie­nkompetenz, wie sie etwa der deutschen Bundeskanz­lerin Einfluss auf die Arbeit ihrer Ministerin­nen und Minister verleiht.

Politik im engeren Wortsinn reduzierte sich in der Zwischenze­it auf Wortgefech­te, Streit, peinliche Enthüllung­en und gegenseiti­ge Anschuldig­ungen im Wahlkampf, all das also, was die Österreich­er für ein Übel halten. o könnte die um Frieden, Eintracht und ihr Ansehen bemühte Regierung Bierlein indirekt zum Verdruss an der Politik beitragen. Leicht könnte der Eindruck entstehen, was wir derzeit an Regierungs­arbeit erleben, wäre der Idealfall politische­r Führung, der Politikbet­rieb aber, wie er sich parallel dazu im Wahlkampfm­odus darstellt, nur eine unschöne Entartung davon. Ein nicht ungefährli­ches Missverstä­ndnis.

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