Der tödliche Ernst des Lebens
Über Bambi kursieren besonders hartnäckige Fake News. Viele halten ihn nach wie vor für ein Mädchen. Auch das mit dem Reh stimmt so nicht ganz. Sein Schöpfer, der österreichischungarische Schriftsteller Felix Salten, veröffentlichte 1923 zwar eine Tiergeschichte über einen jungen Rehbock, doch Walt Disney verwandelte die Hauptfigur für die Zeichentrick-verfilmung in einen Weißwedelhirsch. Der einfache Grund: In Amerika sind Rehe nicht heimisch.
Der Film von 1942 ist eines der größten Meisterwerke Disneys. Entlang der Jahreszeiten erzählt „Bambi“eine Geschichte vom ewigen Kreislauf des Lebens: Geburt – Tod – Geburt. Bambi erlebt Traumatisches. Die Mutter wird von einem Jäger erschossen, der Vater ist von unerbittlicher Distanziertheit. Dazu ein Waldbrand, Jagdhunde, eine Schussverletzung und ein Rivale um die Gunst des Hirschmädchens Faline. Der Weg zum Erwachsenwerden ist für das Hirschkalb hart, die Todesgefahr ständiger Begleiter eines Lebens, das nur wenige unbeschwerte Episoden kennt. Das düstere, für Kleinkinder bedingt geeignete Werk war Disneys Lieblingsfilm. Die ernste Geschichte mit ihrer dezenten Zivilisationskritik hat einen inhaltlichen und zeichnerischen Realismus, der für Cartoons jener Zeit neuartig war.
Felix Salten, geboren vor 150 Jahren am 6. September 1869 in Budapest, hat von Bambis Weltruhm nicht mehr viel mitbekommen. Für 1000 Dollar hatte er die Rechte verkauft. 1942 lebte Salten in der Schweiz, wo er recht verbittert 1945 starb. In der nationalsozialistischen „Ostmark“war kein Platz mehr für den jüdischen Schriftsteller und Starjournalisten gewesen, der selbst gern auf die Jagd ging und ein mondänes Leben führte. Nichts Menschliches blieb ihm dabei fremd. Seine zweite berühmte literarische Erfindung war die Prostituierte Josefine Mutzenbacher. Die „Geschichte einer Wiener Dirne“erschien 1906 zwar anonym – doch es gilt als hoch wahrscheinlich, dass der Erfinder von Bambi ein erheblicher Pornograph war. Martin Gasser