„Wir müssen wettbewerbsfähig bleiben“
Bevölkerungswissenschaftler Rainer Münz über die alternde Gesellschaft, die Erhaltung des sozialen Friedens, die Wettbewerbsfähigkeit in Österreich und über „das graue und das bunte Österreich“.
NDie Republik erlebt turbulente politische Monate. Der richtige Zeitpunkt, um mit Köpfen abseits der Politik über das Land und seine Zukunft zu reden. Teil 9
och keine Generation vor uns hatte in Österreich die Aussicht auf ein so langes Leben. Was bedeutet das für einen Demografen?
RAINER MÜNZ: Die Gesellschaft altert ja nicht, weil jeder und jede von uns biologisch ein Jahr älter wird. Das würden wir auch in einer nicht alternden Gesellschaft. Das Altern der Gesellschaft bedeutet eine Verschiebung von den Jüngeren zu den Älteren, es gibt also mehr Alte und in Relation dazu immer weniger Junge.
Welche Ursachen sieht der Bevölkerungswissenschaftler?
Zum einen, und das ist das Erfreuliche, steigt die Lebenserwartung: In allen Altersstufen geht die Sterblichkeit zurück, wir leben im Schnitt länger und sind auch länger fit. Das ist ein dynamischer Prozess, der die letzten Jahre und Jahrzehnte angehalten hat und bislang nicht zum Stillstand kam, obwohl das Expertinnen und Experten in der Vergangenheit immer wieauch der vorhergesagt haben. Die Lebenserwartung steigt nach wie vor um zwei bis drei Monate im Jahr. Das sind vier bis sechs Stunden pro Tag. Die Alterung unserer Gesellschaft hat auch mit der gesunkenen durchschnittlichen Kinderzahl pro Familie zu tun. Dazu kommt eine weitere Dynamik, die seit den 1970er-jahren zu beobachten ist: Wir bringen unsere Kinder im Laufe unseres Lebens immer später zur Welt, und das führt zu einer gewissen Ausdünnung der Bevölkerung.
Was heißt das?
Wenn wir Kinder mit 20 Jahren bekommen, dann haben fünf Generationen in einem Jahrhundert Platz. Bekommen wir sie mit 25, dann sind es vier Generationen. Und wenn wir sie jenseits der 30 bekommen, dann haben nur drei Generationen in einem Jahrhundert Platz. Bei gleicher Kinderzahl hat eine Gesellschaft, die ihre Kinder mit 20 bekommt, mehr Menschen als eine, die ihre Kinder mit 35 bekommt. Das kann man als Demograf nicht ohne Weiteres sagen. Würde das Pensionsalter deutlich angehoben und würden wir alle länger im Berufsleben bleiben, gäbe es noch länger keinen Arbeitskräftemangel, der durch Zuwanderung ausgeglichen werden müsste. Man könnte stärker auf Automation setzen, wie es etwa die japanische Gesellschaft macht, wo die Alten zunehmend nicht nur von Menschen, sondern auch von Robotern gepflegt werden. Diesen Robotern kann man Töne, menschliche Sprache und sogar ein Lächeln beibringen. Und diese können natürlich verschiedene Tätigkeiten durchführen. Pflegeheime brauchen dann weniger Pflegekräfte verantworten. Digitalisierung kann auch andere Berufstätige überflüssig machen.