Ein Vordenker und Möglichmacher
Flott erklimmt er noch immer die Stufen zum Juchhe im Palais Attems in der Grazer Sackstraße. Denn noch immer hat Kurt Jungwirth dort sein Büro. Übermorgen feiert er seinen 90. Geburtstag.
Andere haben einen Hometrainer. Sein Home aber ist von Montag bis Freitag das Büro des Österreichischen Schachbundes im 2. Stock des Palais Attems, wo er immer noch voll arbeitet. Und die vielen Stufen dort hinauf sind sein „Morgensport“.
Mens sana ... Dass Kurt Jungwirth am Dienstag 90 wird, kann nur ein Irrtum in der Geburtsurkunde sein. Wenn’s doch stimmt: Glückwunsch schon vorab dem Ex-politiker, dem Mann mit Eigenschaften! Er ist ein intellektueller Macher, nüchtern, immer beherrscht, gelassen – und unspektakulär leise.
Die Politik, die hatte er sich als Romanistik-lehrer an der damaligen Bundeserziehungsanstalt Liebenau, der auch an der Universität Dolmetscher für Französisch ausbildete, zunächst nicht vorstellen können. Aber er war damals schon ein kritischer Geist und verfasste kluge Artikel in Medien, auch in unserer Kleinen Zeitung, auf der Seite 3 – Tummelplatz für Nachdenker und Vordenker.
Wohl auch dadurch wurde die Politik auf ihn aufmerksam. Josef Krainer sen. beauftragte den Grazer, eine Abordnung junger Kongolesen zu koordinieren, die in der Steiermark ausgebildet werden sollten. Außerdem lud er ihn ein, in einer Gruppe mitzuwirken, die Ideen für und das Wahlprogramm lieferte. Obwohl ihm „die ÖVP damals viel zu bieder war“, wie Jungwirth sich im „politicum“-magazin Nr. 113 einmal offenherzig erinnerte, kam dann doch die Wende, die sein Leben bestimmen sollte: „Nach der Wahl im Mai 1970 rief mich Landeshauptmann Krainer in die Burg und fragte mich geradeheraus: ,Sie wissen ja, wir suchen einen Nachfolger für den Koren – für die Kultur, für die Jugend. Wie wär’s denn mit Ihnen?‘ Ich war perplex.“
wieder gefunden hatte, sagte Jungwirth zu, wurde Kulturlandesrat und blieb es 21 Jahre lang und gern. 1976 übernahm er von Hanns Koren zudem die Präsidentschaft des steirischen herbstes, der damals häufig für Turbulenzen sorgte. In dieser Funktion zeichnete er federführend verantwortlich für eine Fülle wichtiger Entscheidungen: Er führte nach anfänglichen Direktoriumsjahren beim Mehrspartenfestival das Intendantenprinzip ein und ernannte so unterschiedliche Kultur- und Kunstdynamiker wie Peter Vujica, Horst Gerhard Haberl, Christine Frisinghelli oder Peter Oswald zu dessen Leitern.
Jungwirth räumte ganz im Sinne Korens dem Präsidium vorwiegend eine Schutzmantelund Schirmherrfunktion ein und nahm auf die jeweilige Programmatik so gut wie nie direkten Einfluss. So definiert er seine wichtigste Funktion denn auch als die des „Möglichmachers“, der immer wieder postulierte, dass sich der „herbst“jedes Jahr neu erfinden müsse.
In seiner langen Ära als Kulturlandesrat war er aber auch selbst quasi „Erfinder“. Jungwirth machte in den 70ern und 80ern die „Steirische Akademie“zu einem Zentrum geistiger Auseinandersetzung und brachte eine Elite prominenter Referenten nach Graz: Erwin Chargaff, Hans Küng, Jean Ziegler, Bernard-henri Lévy, Ernst Gombrich waren drunter.
Jungwirth machte sich auch dafür stark, dass die von Hanns Koren eingeführten Landesausstellungen nicht mehr nur in Graz, sondern auch in den Regionen veranstaltet wurden. Zudem rief er 1985 mit Nikolaus Harnoncourt das Klassikfestival „styriarte“ins Leben. Und er setzte sich für die massive Einbindung von Peter Weibel in das Kulturgeschehen ein.
Der glühende Europäer war jedenfalls auf genau jene Art Kulturpolitiker, wie man das Wort schreibt: erst Kultur, dann Politiker. Zu seinem Ressort gehörten aber auch Schule, Kindergärten, Naturschutz und Gesundheit. Als er 1991 zurücktrat, gab es in der Steiermark 150 neue Kindergärten, und die vom Land mitfinanzierten Muwahlwerbung sikschulen hatten sich von 32 auf 46 vermehrt. Dazu wurden, unterstützt vom Bund und im Zusammenwirken von Gemeinden und auch Pfarren, 150 Bibliotheken neu eröffnet.
häuften sich seine Ehrenämter an: Joanneum-präsident, Mitglied des Theaterausschusses, Obmann des Volksbildungswerks ... Und natürlich seine Spitzenpositionen in nationalen und internationalen Schachorganisationen. Von 1971 bis 2017 war er Präsident des Österreichischen Schachbundes, Springer, Turm und Läufer zugleich im Amt.
An den 64 Feldern hatte er auch seine Charaktereigenschaften für Leben und Beruf geschärft: Geduld, Konzentration, Kombinationsfähigkeit. „Für Schach braucht man aber vor allem Fantasie“, sagt Jungwirth über eine seiner großen Lieben. Die andere heißt – naturgemäß bei einem Romanisten – Frankreich. Und die größte: Marie-louise aus Verdun. 1956 heirateten die beiden, aus ihrer Ehe stammen die Söhne Michael (59, Innenpolitik-redakteur der Kleinen Zeitung in Wien), und Christian (57, Fotograf und Galerist in Graz).