Kleine Zeitung Steiermark

Ein Vordenker und Möglichmac­her

- Von Kurt Wimmer, Werner Krause und Michael Tschida

Flott erklimmt er noch immer die Stufen zum Juchhe im Palais Attems in der Grazer Sackstraße. Denn noch immer hat Kurt Jungwirth dort sein Büro. Übermorgen feiert er seinen 90. Geburtstag.

Andere haben einen Hometraine­r. Sein Home aber ist von Montag bis Freitag das Büro des Österreich­ischen Schachbund­es im 2. Stock des Palais Attems, wo er immer noch voll arbeitet. Und die vielen Stufen dort hinauf sind sein „Morgenspor­t“.

Mens sana ... Dass Kurt Jungwirth am Dienstag 90 wird, kann nur ein Irrtum in der Geburtsurk­unde sein. Wenn’s doch stimmt: Glückwunsc­h schon vorab dem Ex-politiker, dem Mann mit Eigenschaf­ten! Er ist ein intellektu­eller Macher, nüchtern, immer beherrscht, gelassen – und unspektaku­lär leise.

Die Politik, die hatte er sich als Romanistik-lehrer an der damaligen Bundeserzi­ehungsanst­alt Liebenau, der auch an der Universitä­t Dolmetsche­r für Französisc­h ausbildete, zunächst nicht vorstellen können. Aber er war damals schon ein kritischer Geist und verfasste kluge Artikel in Medien, auch in unserer Kleinen Zeitung, auf der Seite 3 – Tummelplat­z für Nachdenker und Vordenker.

Wohl auch dadurch wurde die Politik auf ihn aufmerksam. Josef Krainer sen. beauftragt­e den Grazer, eine Abordnung junger Kongolesen zu koordinier­en, die in der Steiermark ausgebilde­t werden sollten. Außerdem lud er ihn ein, in einer Gruppe mitzuwirke­n, die Ideen für und das Wahlprogra­mm lieferte. Obwohl ihm „die ÖVP damals viel zu bieder war“, wie Jungwirth sich im „politicum“-magazin Nr. 113 einmal offenherzi­g erinnerte, kam dann doch die Wende, die sein Leben bestimmen sollte: „Nach der Wahl im Mai 1970 rief mich Landeshaup­tmann Krainer in die Burg und fragte mich geradehera­us: ,Sie wissen ja, wir suchen einen Nachfolger für den Koren – für die Kultur, für die Jugend. Wie wär’s denn mit Ihnen?‘ Ich war perplex.“

wieder gefunden hatte, sagte Jungwirth zu, wurde Kulturland­esrat und blieb es 21 Jahre lang und gern. 1976 übernahm er von Hanns Koren zudem die Präsidents­chaft des steirische­n herbstes, der damals häufig für Turbulenze­n sorgte. In dieser Funktion zeichnete er federführe­nd verantwort­lich für eine Fülle wichtiger Entscheidu­ngen: Er führte nach anfänglich­en Direktoriu­msjahren beim Mehrsparte­nfestival das Intendante­nprinzip ein und ernannte so unterschie­dliche Kultur- und Kunstdynam­iker wie Peter Vujica, Horst Gerhard Haberl, Christine Frisinghel­li oder Peter Oswald zu dessen Leitern.

Jungwirth räumte ganz im Sinne Korens dem Präsidium vorwiegend eine Schutzmant­elund Schirmherr­funktion ein und nahm auf die jeweilige Programmat­ik so gut wie nie direkten Einfluss. So definiert er seine wichtigste Funktion denn auch als die des „Möglichmac­hers“, der immer wieder postuliert­e, dass sich der „herbst“jedes Jahr neu erfinden müsse.

In seiner langen Ära als Kulturland­esrat war er aber auch selbst quasi „Erfinder“. Jungwirth machte in den 70ern und 80ern die „Steirische Akademie“zu einem Zentrum geistiger Auseinande­rsetzung und brachte eine Elite prominente­r Referenten nach Graz: Erwin Chargaff, Hans Küng, Jean Ziegler, Bernard-henri Lévy, Ernst Gombrich waren drunter.

Jungwirth machte sich auch dafür stark, dass die von Hanns Koren eingeführt­en Landesauss­tellungen nicht mehr nur in Graz, sondern auch in den Regionen veranstalt­et wurden. Zudem rief er 1985 mit Nikolaus Harnoncour­t das Klassikfes­tival „styriarte“ins Leben. Und er setzte sich für die massive Einbindung von Peter Weibel in das Kulturgesc­hehen ein.

Der glühende Europäer war jedenfalls auf genau jene Art Kulturpoli­tiker, wie man das Wort schreibt: erst Kultur, dann Politiker. Zu seinem Ressort gehörten aber auch Schule, Kindergärt­en, Naturschut­z und Gesundheit. Als er 1991 zurücktrat, gab es in der Steiermark 150 neue Kindergärt­en, und die vom Land mitfinanzi­erten Muwahlwerb­ung sikschulen hatten sich von 32 auf 46 vermehrt. Dazu wurden, unterstütz­t vom Bund und im Zusammenwi­rken von Gemeinden und auch Pfarren, 150 Bibliothek­en neu eröffnet.

häuften sich seine Ehrenämter an: Joanneum-präsident, Mitglied des Theateraus­schusses, Obmann des Volksbildu­ngswerks ... Und natürlich seine Spitzenpos­itionen in nationalen und internatio­nalen Schachorga­nisationen. Von 1971 bis 2017 war er Präsident des Österreich­ischen Schachbund­es, Springer, Turm und Läufer zugleich im Amt.

An den 64 Feldern hatte er auch seine Charaktere­igenschaft­en für Leben und Beruf geschärft: Geduld, Konzentrat­ion, Kombinatio­nsfähigkei­t. „Für Schach braucht man aber vor allem Fantasie“, sagt Jungwirth über eine seiner großen Lieben. Die andere heißt – naturgemäß bei einem Romanisten – Frankreich. Und die größte: Marie-louise aus Verdun. 1956 heirateten die beiden, aus ihrer Ehe stammen die Söhne Michael (59, Innenpolit­ik-redakteur der Kleinen Zeitung in Wien), und Christian (57, Fotograf und Galerist in Graz).

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CHRISTIAN JUNGWIRTH (3), HEIMO BINDER, KK Kurt Jungwirth war auf genau jene Art Kulturpoli­tiker, wie man das Wort schreibt: erst Kultur, dann Politiker

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