Zu wenig, zu viel, das Falsche
Unzureichende oder schlechte Ernährung bedroht 200 Millionen Kinder nachhaltig: von Hunger auf der einen und Fettleibigkeit auf der anderen Seite.
Der Optimist, er könnte meinen, dass es in einer hoch industrialisierten, globalisierten und miteinander vernetzten Welt doch möglich sein müsste, alle Menschen ausreichend zu ernähren. Das Gegenteil ist der Fall: Über 820 Millionen Menschen haben nicht genug zu essen. Jedes dritte Kind unter fünf Jahren gilt als durch schlechte und unzureichende Ernährung gefährdet. 200 Millionen Mädchen und Buben in dieser Altersgruppe sind betroffen, warnt das Un-kinderhilfswerk Unicef am heutigen Welternährungstag.
149 Millionen Kinder unter fünf Jahren sind aufgrund von Mangelernährung unterentwickelt. 50 Millionen unterernährte Kleinkinder bringen im Vergleich zu ihrer Größe zu wenig auf die Waage. „Trotz aller technologischen, kulturellen und sozialen Fortschritte in den letzten Jahrzehnten haben wir eine grundlegende Tatsache aus den Augen verloren: Wenn Kinder schlecht ernährt werden, haben sie ein schlechtes Leben“, fasst Unicef-exekutivdirektorin Henrietta Fore zusammen. Millionen von Kindern ernähren sich ungesund, weil sie einfach keine andere Wahl haben – davon betroffen sind erwartungsgemäß vor allem Kinder und Jugendliche der ärmsten und am massivsten benachteiligten Gemeinschaften.
Das Problem ist auch aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, wie man bei der Albert-schweitzerstiftung für unsere Mitwelt in Berlin im Interview betont: Die globale Produktion von 324 Millionen Tonnen Fleisch (aktuellster verfügbarer Wert von 2017) steht in Konkurrenz zur Ernährungssicherheit. Wie kann das sein? Bereits 35 Prozent der weltweiten Getreideernte werden für die Tierfütterung eingesetzt, Tendenz steigend, hinzu kommen bis zu 75 Prozent der Sojaernte. Pflanzliche Ressourcen, die zur Fleischproduktion eingesetzt werden, fehlen an anderer Stelle. Von den global nutzbaren 1,4 Milliarden Hektar Ackerfläche dient ein Drittel dem Futtermittelanbau. Des Menschen Heißhunger auf Billigfleisch lässt ihn an anderer Stelle hungern oder das Falsche essen. Auch klimabedingte Naturkatastrophen führen zu Ernährungskrisen: Dürren sind für 80 Prozent der Verluste in der Landwirtschaft verantwortlich und in weiterer Folge für Versorgungsnot.
Es gibt zwei Pole: Mangelund Unterernährte, vor allem in Afrika und Südasien. Zum anderen gelten 40 Millionen Kinder unter fünf Jahren durch falsches Essverhalten als übergewichtig oder fettleibig, die meisten in Industriestaaten. Im Vergleich zu 1975 sind heute zehn Mal so viele Mädchen und zwölf Mal so viele Buben übergewichtig. Gründe: industriell stark verarbeitete Lebensmittel, also diverse Fertiggerichte, Fast Food sowie mit Zucker verseuchte Getränke.
Sprechen wir am Welternährungstag nicht zuletzt auch vom Verschwenden von Nahrungsmitteln: „Es ist inakzeptabel, dass der Hunger ansteigt in einer Zeit, in der mehr als eine Milliarde Tonnen Lebensmittel jedes Jahr weltweit verschwendet werden“, mahnt Un-generalsekretär António Guterres. Die europäische Kommission schätzt, dass in der EU pro Person und Jahr 173 Kilogramm Lebensmittel weggeworfen werden – das ergibt 88 Millionen Tonnen jährlich. Wie hungrig sind wir darauf, das zu ändern?