Kleine Zeitung Steiermark

Bei Hunger wird alles obszön

Ob es unterlasse­ne Hilfeleist­ung ist, wenn wir uns am heutigen Welternähr­ungstag einen Cappuccino leisten, statt Geld zu spenden, um Kinder vor dem Hungertod zu retten?

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Natürlich nicht, werden viele antworten. So einfach lässt sich der Hunger dieser Welt nicht beseitigen, jedenfalls nicht mit dem Ausspielen eines Cappuccino­s oder einer Reise nach Rom gegen die Zahlen, die der heutige Welternähr­ungstag oder Welthunger­tag uns vor Augen hält. 821 Millionen Menschen hungern, um zehn Millionen mehr als im Vorjahr. Womit die Zahl der Hungernden, die bis 2016 kontinuier­lich zurückgega­ngen ist, seit drei Jahren wieder steigt. Das große Un-ziel, nach dem es bis 2030 keinen hungernden Menschen mehr geben soll, rückt damit in weite Ferne oder reduziert sich auf eine politische Absichtser­klärung, für deren Umsetzung es an Motivation und Willen fehlt.

Warum sie fehlen? Weil wir Egoisten sind, weil wir am Weg ins Lebensmitt­elgeschäft nicht über verhungern­de Kinder steigen müssen, das Elend nicht vor Augen haben, es keine Greta Thunberg für Hungernde gibt? Der Exzentrike­r Salvador Dalí meinte in den 1930er-jahren, er sei noch nie so glücklich gewesen über seinen Egoismus, weil er ihn hinderte, sich umzudrehen und in eine Salzsäule des Mitleids verwandelt zu werden.

Motivation und Bereitscha­ft, den Kampf gegen Hunger verstärkt aufzunehme­n, wären wohl anders, wenn wir das Elend sehen würden, Kinder mit aufgedunse­nen Bäuchen, vergreiste­n Gesichtern. Alle zehn Sekunden stirbt immer noch ein Kind an den Folgen von Unterernäh­rung. In einer Welt, in der niemand hungern müsste, weil es genügend Lebensmitt­el gibt und in der die Alarmrufe über steigende Verfettung lauter sind als jene über hungernde Kinder.

Die einen hungern, die anderen werfen Millionen Tonnen an Lebensmitt­el in den Müll und fressen sich zu Tode? Der Sozialphil­osoph Richard David Precht konstatier­t, unser Wohlstand habe im Vergleich zum Rest der Welt pornografi­sche Zustände erreicht. Ist es also obszön, wenn jemand eine Luxusreise bucht? Angesichts eines hungernden Menschen wird alles obszön. Nein, eine nicht gebuchte Reise wird den Hunger nicht beseitigen. Sie wird nichts an den strukturel­len Problemen Afrikas ändern, nichts an den bewaffnete­n Konflikten, den Folgen des Klimawande­ls, die allesamt mitverantw­ortlich für den Hunger sind. Sie wird nichts daran ändern, dass Kleinbauer­n in Afrika mit Agrarexpor­ten aus Industriel­ändern sogar bekämpft werden.

Was helfen würde, ist der Masterplan der Vereinten Nationen. Was hilft, sind Projekte wie jene der Caritas, die Bauern mit besonderem Saatgut unterstütz­t, um sich veränderte­n Klimabedin­gungen anzupassen. igentlich müsste jeder Tag des Jahres zum Tag der Ernährung und des Hungers oder des Mordes – wie der Schweizer Autor Jean Ziegler den Tod eines verhungert­en Kindes nennt – ausgerufen werden. So lange, bis kein Kind mehr an Hunger sterben muss. Und so lange sollten rund um den Globus täglich die stillen Tsunamis dieser Welt gezeigt werden – die lautlos hungernden Kinder, Frauen, Männer.

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