Kleine Zeitung Steiermark

Als die Mauer fiel

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9. November 1989: Mit dem Fall der Berliner Mauer begann auch der Ostblock zu zerbröckel­n. 30 Jahre danach werfen wir einen Blick auf die Geschehnis­se von damals und ihre Auswirkung­en bis ins Heute.

In der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunder­ts erwies sich der 9. November mehrfach als Schicksals­tag. Am 9. November 1918 wurde die Deutsche Republik ausgerufen und das Land trat erstmals, begleitet von heftigen Anfangswir­ren, als demokratis­cher Staat auf. Genau zwei Jahrzehnte später setzte die Reichspogr­omnacht ein finsteres Zeichen deutschen Rassenwahn­s, mit tatkräftig­sten Beiträgen im damals eben untergegan­genen Österreich. Und der 9. November 1989, der Tag der Öffnung der Berliner Mauer, gilt heute weltweit als Symboltag für die Überwindun­g nicht nur der Spaltung Deutschlan­ds, sondern auch für das Ende des Kalten Krieges.

Historisch­e Daten, wie sie

in Schulbüche­rn finden, scheinen den geschichtl­ichen Ablauf markant zu unterbrech­en und ihm eine neue Richtung zu weisen. Das scheint beim Sturm auf die Bastille so, der am 14. Juli 1789 die Französisc­he Revolution einleitete. Am 25. Oktober (oder nach unserem am 7. November), begann mit dem Sturm auf das Winterpala­is in St. Petersburg die Russische Revolution und damit ging Russland für gut sieben Jahrzehnte historisch andere Wege. Und im 21. Jahrhunder­t stehen jene Mosich mente, als zwei Flugzeuge in die Türme des World Trade Centers in New York rasten, als markanter Startpunkt für neue Bedrohungs­potenziale und neue Formen von Kriegen. Der 11. September 2001 wird von den Amerikaner­n kurz „9/11“gekalender

Vor 30 Jahren fiel der Eiserne Vorhang. Der Historiker erzählt die Geschichte von den großteils friedliche­n Revolution­en, mit denen Millionen von Osteuropäe­rn endlich ihre Freiheit erlangten.

und hat sich so ins kollektive Gedächtnis eingeschri­eben.

die

Der Tag der Öffnung der Berliner Mauer gilt heute weltweit als Symboltag für die Überwindun­g nicht nur der Spaltung Deutschlan­ds, sondernauc­hfür das Ende des Kalten Krieges.

Man könnte Weltgeschi­chte durchaus so einteilen, dass am 14. Juli 1789 das „lange 19. Jahrhunder­t“begann, um am 9. November 1918 vom „kurzen 20. Jahrhunder­t“abgelöst zu werden. Dieses reicht dann bis zum 9. November 1989, gefolgt von einer kurzen „Sattelzeit“bis zum 11. September 2001, jenem Tag, an dem das 21. Jahrhunder­t startet.

Aber hinter diesen konkreten Daten stehen jeweils längere Prozesse. Es gibt Vorgeschic­hten und vor allem Wirkungsge­schichten, und die entstanden­en Änderungen werden oft erst retrospekt­iv erkannt. Niemand ahnte etwa am 14. Juli 1789, dass er Augenzeuge eines welthistor­ischen Wendepunkt­es geworden war.

Das war allerdings 1989 doch anders. Als die Bilder von der Öffnung der Grenzen der DDR durch die Weltmedien gingen, war es weit über Deutschlan­d hinaus klar, dass ein gänzlich neues Kapitel in der Geschichte aufgeschla­gen wurde. Die Presnannt

sekonferen­z von Günter Schabowski, Mitglied des Sed-politbüros, chaotisch abgehalten am 9. November, enthielt den Satz: „Und deshalb haben wir uns entschloss­en, heute eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR möglich macht, über Grenzüberg­angspunkte der DDR auszureise­n.“Auf die Nachfrage, ab wann das gelte, antwortete er: „… nach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzügli­ch.“

Das war politisch in der Staatsführ­ung der DDR noch gar nicht koordinier­t, aber die Massen setzten sich in Bewegung, der Fall der Berliner Mauer, die seit 1961 die Stadt geteilt hatte, begann. Der Prozess war nicht mehr umkehrbar.

So überrasche­nd und spontan sich die Ereignisse des Abends am 9. November 1989 auch da rstellen, so haben sie doch eine längere Vorgeschic­hte. Und sie sind auch Teil eines breiten Wandlungsp­rozesses in den Staaten Osteuropas. Und auch in Teilrepubl­iken der damaligen Sowjetunio­n war längst eine Aufbruchss­timmung vorhanden, der Wunsch nach Veränderun­g artikulier­te sich eindrucksv­oll.

In den Baltischen Staaten, damals Sowjetrepu­bliken, bildeten Menschen schon am 23. August 1989 eine über alle drei Staaten hinwegreic­hende Menschenke­tte von über 600 km Länge, die längste bekannte Menschenke­tte der Geschichte, um für Veränderun­g und Unabhängig­keit zu demonstrie­ren. Schon zwei Jahre früher hatte man die „Singende Revolution“gestartet, obwohl das Singen der verbotenen alten Hymnen noch mit einer möglichen Deportatio­n nach Sibirien bedroht war.

In Polen hatten die ersten einigermaß­en freien Wahlen schon am 4. Juni 1989 mit einem Sieg der Opposition geendet, und Ungarn war nicht mehr gewillt, den Eisernen Vorhang auf einen technisch neuen Zustand zu verbessern. Der Vorhang bekam die ersten Lücken, wie das „Paneuropäi­sche Picknick“am 19. August des Jahres beweisen sollte, das Hunderten Bürgern der DDR den

So spontan sich die Ereignisse des 9. November auch darstellen, so sind sie doch Teil eines breiten Wandlungsp­rozesses in den Staaten Osteuropas.

nach Österreich ermöglicht­e.

Wie sehr sich der Wandlungsp­rozess aber beschleuni­gte und wie gravierend er die politische Landschaft verändern sollte, hat dann aber doch die meisten Menschen überrascht. Ich selbst war wenige Wo chen vor dem Mauerfall auf einer Vortragsre­ise in Leipzig und Ostberlin. Die Studierend­en wollten nicht über die Vorträge, sondern über die politische Lage diskutiere­n. Der hoch angesehene Leipziger Professor, der mich eingeladen hatte, fürchtete um die Zukunft seines Sohnes, denn es war gerade Montag und der junge

Mann war mitten in den Montagsdem­onstration­en, die letztlich das Regime stürzen sollten.

Meine eigene Wahrnehmun­g war ambivalent. Wohl hatte Michail Gorbatscho­w, der sowjetisch­e Staats- und Parteichef, deutlich gemacht, keine Gewalt zur Aufrechter­haltung der alten Ordnung anwenden zu wollen, aber zu sehr stand uns die Erfahrung vom August 1968 in Prag vor Augen, um vagen Zusagen zu trauen. Und die Stasi schien noch allgegenwä­rtig und durchaus mächtig. Ich muss also gestehen, die Rasanz der Entwicklun­g trotz der damaligen räumlichen Nähe nicht erkannt zu haben.

Der Fall der Bergrenzüb­ertritt

Der Fall der Berliner Mauer hatte die höchste Symbolkraf­t. Seit ihrer Errichtung war die Teilung von Berlin der Inbegriff für die Teilung der Welt.

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Ein Sonderheft
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 ?? GETTY IMAGES (3) ?? Berlin am 10. November 1989. In der Nacht zuvor fiel die Mauer, auf der nun Trauben von Menschen lagern. Davor ratlose Volkspoliz­isten
GETTY IMAGES (3) Berlin am 10. November 1989. In der Nacht zuvor fiel die Mauer, auf der nun Trauben von Menschen lagern. Davor ratlose Volkspoliz­isten
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Der tschechosl­owakische Außenminis­ter Jirí Dienstbier und sein österreich­ischer Kollege Alois Mock durchtrenn­en den Eisernen Vorhang
KORCAK VIT / PICTUREDES­K.COM 17. Dezember 1989: Der tschechosl­owakische Außenminis­ter Jirí Dienstbier und sein österreich­ischer Kollege Alois Mock durchtrenn­en den Eisernen Vorhang

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