Kleine Zeitung Steiermark

Holpriger Beginn: Stillstand statt Neustart

- Von unserem Korrespond­enten Andreas Lieb aus Brüssel

Die Amtsüberga­be an der Spitze der Eu-kommission verzögert sich zusehends. Die wichtigste Eu-behörde verharrt in einer Warteschle­ife.

Viele Entscheidu­ngen in der Europäisch­en, Union – nahezu alle – bedürfen langer Vorlaufzei­ten und zäher Verhandlun­gen. Eine aber, noch dazu eine sehr wichtige, wurde an einem einzigen Tag getroffen: Die Deutsche Ursula von der Leyen, damals noch Verteidigu­ngsministe­rin, wurde im Juli beim Eu-gipfeltref­fen zu ihrer eigenen Überraschu­ng zur Nachfolger­in von Eu-kommission­spräsident Jean-claude Juncker auserkoren. Kaum zwei Wochen später musste sie bereits ihr Programm vor dem Euparlamen­t präsentier­en und wurde knapp, aber doch von den Volksvertr­etern bestätigt.

Seither geht alles Schlag auf Schlag, die künftige Chefin der wichtigste­n Eu-behörde mit mehr als 30.000 Beamten erarbeitet­e die neuen Dossiers des Führungste­ams und ließ sich von jedem Mitgliedsl­and Kandidaten für die Kommissars­posten vorschlage­n. Am 1. November schon sollte die Amtsüberga­be erfolgen, für diesen Tag war auch der Ausstieg der Briten aus der EU fixiert. Alles musste schnell gehen. Am Ende war es zu schnell und mittlerwei­le ist nicht einmal sicher, ob die Präsidenti­n ihre Arbeit heuer noch aufnehmen kann.

Eine der Tücken liegt darin, dass von der Leyen von Beginn an festlegte, in der Kommission gleich viele Frauen wie Männer zu haben. Das fand in ganz Europa viel Beifall, allerdings hielt sich mit Ausnahme zunächst einmal kein Land daran, jeweils einen weiblichen und einen männlichen Kandidaten zu nominieren. Dann kam, was kommen musste: Das Eu-parlament, das die neue Kommission annehmen oder in Bausch und Bogen ablehnen kann, warf drei Kandidaten, darunter zwei Frauen, wegen des Vorwurfs mangelnder Integrität aus dem Rennen: Rovana Plumb (Rumänien), László Trócsányi (Ungarn) und eher überrasche­nd auch die Französin Sylvie Goulard.

Die Folge war eine diplomatis­che Überwerfun­g von der Leyens mit dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron, der ihr die Schuld in die Schuhe schieben wollte, und ein ins Stocken geratender Prozess, weil mittendrin in Rumänien die Regierung stürzte. Von der Leyens Appell an

Rumänien, möglichst rasch Ersatzkand­idaten zu nennen, ging in dieser Phase nach hinten los: Die abgewählte Regierung nominierte in letzter Sekunde den ehemaligen Europamini­ster Victor Negrescu, wogegen der designiert­e neue Regierungs­chef Ludovic Orban sofort Sturm lief und noch am selben Abend eigene Vorschläge machte. Seit gestern steht nun fest, dass die Euabgeordn­ete Adina Va˘lean das neue Ticket bekommt.

Das Chaos wird durch den Brexit verursacht.

Wir glauben, dass es ein Fenster gibt, die Vonder-leyen-kommission am 1. Dezember zu starten.

Als wäre das nicht genug, hat die Brexit-verschiebu­ng zur Folge, dass auch die Briten noch einen Kommissar vorschlage­n müssen. Bisher nahm man an, dass der aktuelle Kommissar Julian King weiter im Amt bleiben könnrumäni­ens te, nun hat Ursula von der Leyen aber darum gebeten, auch aus London eine Frau vorgeschla­gen zu bekommen. Grüne und Sozialdemo­kraten wiesen mit Nachdruck darauf hin, dass die Parität eine „klare Bedingung“für die Unterstütz­ung sei. Alle Nachnomini­erten müssen nun die Hearings im Parlament passieren, die Rede ist von 14. und 18. November. Falls sich die Abstimmung in der Novembersi­tzung in knapp drei Wochen nicht ausgeht, kann Juncker erst am 1. Jänner in Pension gehen.

Solche Verzögerun­gen hat es auch bisher schon gegeben; allerdings muss die neue Präsidenti­n auch noch den Dossiers ihres Teams ein klares Profil geben, viele Themen erscheinen Beobachter­n schwammig oder nicht ausgereift, etwa der „Green Deal“. Kritische Stimmen gibt es auch zu kleinen Details, etwa jenem, dass Ursula von der Leyen keine private Unterkunft in Brüssel haben wird, sondern in ein 25 Quadratmet­er großes Zimmer im Kommission­sgebäude ziehen will. Was die einen als arbeitseif­rig empfinden, sehen andere als „Rückzug in den Elfenbeint­urm“.

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Eric Mamer, Pressespre­cher

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