Kleine Zeitung Steiermark

Die Juden in Graz und ihre Sorgen

- Von Thomas Wieser

Heute lädt die Jüdische Gemeinde zur Veranstalt­ung im Gedenken an die Reichspogr­ome 1938. Die Stimmung im Vorfeld ist belastet.

Der Antisemiti­smus in Europa ist im Aufwind. Es gibt mehr Vorfälle als je nach dem Zweiten Weltkrieg“, sagt Elie Rosen, Leiter der Jüdischen Gemeinde in Graz. Vom 9. auf 10. November jährt sich die Reichspogr­omnacht, in der europaweit Hunderte Juden getötet wurden und die Synagoge in Graz von Anhängern des Nationalso­zialismus in Brand gesteckt wurde, zum 81. Mal. Im Vorfeld dieses bedrückend­en Jahrestage­s machten Rosen und seine Unterstütz­er sorgenvoll auf eine äußerst judenfeind­liche Entwicklun­g aufmerksam.

Demnach wurden im „Forum gegen Antisemiti­smus“im Jahr 2018 österreich­weit rund 550 Fälle dokumentie­rt – von Schmähunge­n im Internet über Beschimpfu­ngen auf der Straße bis zu tätlichen Angriffen gegen Juden. Auch Sachbeschä­digungen wurden gemeldet. „In der Steiermark“, so schätzt Elie Rosen, „gibt es rund 25 antisemiti­sche Vorfälle im Jahr.“

Angezeigt wurde nur ein Teil der Vorfälle. Die Polizei verweist auf den Bericht des Verfassung­sschutzes. So wurden bei den Sicherheit­sbehörden in ganz Österreich 49 explizit antisemiti­sche Taten angezeigt. Vier Personen wurden 2018 bei Übergriffe­n verletzt.

Im Hinterkopf haben Rosen und die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde auch das rechtsextr­eme Attentat im deutschen Halle an der Saale: Eine verschloss­ene Tür verhindert­e ein Blutbad in der Synagoge, zwei Personen wurden außerhalb des Gotteshaus­es getötet.

Dementspre­chend hoch sind auch die Sicherheit­svorkehrun­gen in Graz. Polizeibea­mte und private Sicherheit­skräfte sind im Einsatz. „Wir werden vielfach als übersensib­el bezeichnet. Aber wir haben die Mitglieder und die Besucher zu schützen“, erklärt Rosen. Rund 25 Prozent des Gemeindeet­ats würden für Sicherheit­smaßnahmen ausgegeben. Jüdisches Leben nur noch im Hochsicher

heitstrakt? „Das können nicht akzeptiere­n.“

Die Jüdische Gemeinscha­ft ortet aber auch geistige Brandstift­ung – etwa durch das Auftauchen von Burschensc­hafterlied­erbüchern mit unsägliche­n Texten. Rosen und seine Kollegen hoffen auf Solidaritä­t in der Gesellscha­ft. Die politische Bildung müsse verbessert, die Erinnerung­skultur verstärkt werden. Zudem müsse der Staat seine Bürger besser schützen.

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Elie Rosen sendet noch ein weiteres Warnsignal aus: Sechs jüdische Gemeinden gibt es in Österreich, die größte ist jene in Wien mit rund 7500 Mitglieder­n. Nur rund 130 Personen gehören der Gemeinde in Graz an. „Wir müssen uns eine Überlebens­strategie zurechtleg­en. Die kleinen jüdischen Gemeinden außerhalb von Wien werden nicht überleben, wenn nicht so wie in Deutschlan­d der Zuzug gefördert wird.“

Dennoch: „Man darf nicht nur das Negative sehen“, betonen Rosen und auch Otto Hochreiter, Präsident des Vereins „Gesellscha­ft der Freunde der Jüdischen Gemeinde Graz“.

Heute findet in der Synagoge eine Gedenkfeie­r mit dem Wiener Klezmer Orchester statt. Die Künstler Oskar Stocker und Luis Rivera präsentier­en dabei im Hof ihre aus zwölf alten Synagogent­üren bestehende Installati­on.

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