Euphorie in der Region voll gelebter Tradition
Im Steirischen Salzkammergut sieht man der Zeit als Kulturhauptstadt freudig entgegen und stemmt sich dabei gegen den Massentourismus.
In Grundlsee weiß man, wem die Lorbeeren für den Erfolg des Salzkammergutes bei der Kür der „Europäischen Kulturhauptstadt 2024“gebühren: „Insa Burigamoasta, da Annerl Fronz“, habe maßgeblichen Anteil daran gehabt, weiß Veronika Rastl. Gemeint ist im unverwechselbaren, urigen Grundlseer Dialekt Bürgermeister Franz Steinegger, vulgo Annerl. Der Hausname überträgt sich von Generation zu Generation, auch bei Rastl, die jeder im Ort als „Kößler Vroni“kennt. Es sei gut, wenn etwas geschieht, meint sie, vor allem „in der totn Zeit“, wie jetzt im November. Bei ihrer Nachbarin Heidi Amon ist gerade Tochter Karin mit ihrem Freund Bernhard Wimmer zu Besuch. Beide wohnen eigentlich in der Bad Ausseer Ortschaft Sarstein und haben den dortigen herrlichen Ausblick auf den Dachsteingletscher gegen jenen auf den in der Spätherbstsonne glitzernden und dampfenden Grundlsee eingetauscht. Die Einheimischen wissen um die begnadete Landschaft ihrer Heimat. Und die wollen sie unter allen Umständen bewahren. Das von einer Touristenflut überschwemmte Hallstatt ist abschreckendes Beispiel genug. Heidi Amon ist sich sicher, dass das gelingt. „Wir hätten den Toplitzsee mit den Schatzsuchen, der Ns-vergangenheit und dem Beginn der Liebesromanze von Erzherzog Johann und Anna Plochl ganz anders vermarkten können, wenn wir das gewollt hätten“, sagt sie. Ein Schatzsuche-disneyland als touristischer Goldesel wäre den Grundlseern jedoch niemals in den Sinn gekommen. Das brauche man ebenso wenig wie „große Hotelbauten“, wirft Karin Amon ein. in paar Kilometer weiter nordwestlich liegt Altaussee, in dem sich viel Prominenz aus Kultur, Politik und Wirtschaft angesiedelt hat. Die Einheimischen lassen die Zweiheimischen an der Oberfläche ihres gelebten Brauchtums teilhaben, in dessen Tiefen nur jemand gelangt, der hier geboren ist. Das Dorf hat den Ansturm bei den „James Bond“-dreharbeiten mühelos überlebt und sieht sich für die Kulturhauptstadt-zeit gerüstet. „Die Ausscheidung war so spannend,
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schon im Vorfeld, dann die Erfolgsmeldung, ich war fast euphorisch“, freut sich Lydia Gaisberger, die mit ihrer Schwester Susanna Auth im Modegeschäft „Vergissmeinnicht“arbeitet. „Busse, noch und nöcher“, brauche man nicht, dafür erwartet man sich ein Konzept für den Verkehr und eines für den kaum abreißenden Strom von Wanderern, der sich an schönen Tagen rund um den Altausseer See bewegt. Den Nutzen der Kulturhauptstadt sollen „auch die Einheimischen, nicht nur die Touristen haben“, attraktive Arbeitsplätze wünscht man sich, ein „Haus des Handwerks“. m renommierten Café Lewandowsky in Bad Aussee sitzen Erika und Herbert Sams aus Altaussee gemütlich beim Kaffee. „Sams wie Samstag nur ohne Tag“erklärt der ehemalige Schuldirektor, weil es auch einen Lehrer Sambs gibt. „Eine Aufwertung, es liegt viel Arbeit vor uns“, sind beide von der Kulturhauptstadt überzeugt.
Franz Mandl ist Buchhändler in Bad Mitterndorf und Diakon in der Region. „Ich hab heute bei einem Begräbnis in Bad Aussee über die Kulturhauptstadt gesprochen. Dass bei uns viele Nachbarn, Freunde und Ortsbewohner die Angehörigen in der schweren Zeit begleiten, ist Teil unserer Kultur und nicht selbstverständlich.“Angst vor einem zweiten Hallstatt hat er
Inicht: „Bei uns konzentriert sich ja nicht alles auf ein paar hundert Metern.“er unermüdliche Einsatz von Franz Steinegger hat sich in den Augen der Bevölkerung gelohnt. Auch wenn die Jury manchmal schon „recht hort und zach“war, wie der „Annerl Fronz“lächelnd zugibt.
DIn der Grazer Tischlerei Hobel & Späne riecht es nach Holz und Lack. Vor der Kreissäge hat Pascal S. (20) noch Respekt. Doch mit Unterstützung des Teams gelingt es ihm schon gut, die Holzlatten mit der Maschine zu kürzen. Er arbeitet sehr gewissenhaft.
Pascal S. erhielt über das von Landesrätin Doris Kampus initiierte Pilotprojekt „inarbeit“einen fixen Dienstvertrag und damit ein echtes Gehalt, anstatt wie sonst ein Taschengeld. Davor absolvierte er ein Praktikum in der Tischlerei.
Für Geschäftsführer Albert Serschen ist klar: „Menschen mit Behinderung verdienen eine richtige Arbeit und eine echte Anstellung wie andere auch.“
ALLE INFOS:
Steiermark, Graz, Lendplatz 35, Tel. 050/79 00-0. E-mail: office@ jaw.or.at, www.jaw. or.at
Welche Idee steckt hinter „inarbeit“?
ANDREAS PEPPER: Menschen mit Behinderung sollen für ihre Arbeit auch entlohnt werden.
Was ist neu in diesem Projekt?
Sie bekommen einen Dienstvertrag und damit ein echtes Gehalt, statt wie sonst üblich nur ein Taschengeld.
Macht das einen Unterschied?
Natürlich! Eine richtige Arbeit zu haben, trägt wesentlich zum Selbstwert und zur Eigenständigkeit eines Menschen bei.