„Da war ich auf einmal auch nur noch Geschichte“
Wegrationalisiert: Herr Peter lebte nach seinem Jobverlust unter der Brücke, ehe er im Vinzidorf Zuflucht fand. Dieses ist heuer komplett ausgelastet. Weil Armut immer mehr im hohen Alter trifft.
Con Christian Penz
Es ist kalter Rauch, der die Einheit 7b im Grazer Vinzidorf einhüllt. Ein Bett, ein Sessel, ein Tisch, ein Kasten stehen darin: Viel mehr ist Herrn Peter mit seinen 57 Jahren nicht geblieben. „Ich war früher Operator am Großrechner in einer Bank in Graz. Wir sind dann wegrationalisiert worden – und damit war auch ich nur noch Geschichte“, sagt er. Es folgten Gelegenheitsjobs, Alkohol wurde zum tröstenden, aber ständigen Begleiter des Grazers. Die Spirale drehte sich bergab, „ich hab meine schöne Wohnung verloren“. Seine Gedanken sind sprunghaft, er erinnert sich aber an den Tiefpunkt: „Ich hab zwei Wochen unter der Augartenbrücke geschlafen, einen Schlafsack hatte ich ja zumindest noch ...“
Dann musste Peter sich überwinden. Eingestehen, dass er es allein nicht mehr lang schaffen würde. Er landete in 7b im Vinzidorf. Wie es ihm hier geht? Herr Peter will bei der Antwort gar nichts verklären: „Es passt. Wohlfühlen ist etwas anderes. Aber es passt. Es ist, was es ist – ein Zufluchtsort.“err Peter ist einer von 39 Bewohnern im Vinzidorf, der Heimat für Heimatlose. „Nach Jahren, wo hier bei uns immer ein paar Plätze frei waren, sind wir heu
Her zu 100 Prozent voll“, schildert Leiterin Sabine Steinacher. Was ihr zu denken gibt: „Viele unserer Männer sind bereits über 65 Jahre alt und auch erst im höheren Alter von Obdachlosigkeit und Armut betroffen.“Die Altersstruktur bei den Hilfesuchenden ändert sich also gravierend. Von den 39 Bewohnern sind drei über 80, vier über 70. „Es ist zwar wunderschön, dass wir hier einen 80er feiern können, es zeigt aber auch das Problem der Armut im Alter auf.“
Die Gründe dieses Wandels?
Viele kommen erst im hohen Alter („leider oft viel zu spät“), früher hätten sie trotz Sucht etwa zumindest noch ein Wohnumfeld gehabt. Zudem werden Obdachlose immer älter: „Früher starben Obdachlose relativ jung“, erläutert Steinacher, mit 40 hätten die Betroffenen vor einigen Jahren noch als jung gegolten. Durch die medizinische Versorgung steige trotz Sucht und psychischer Probleme das Lebensalter. „Und im Alter verstärken sich die Probleme ja noch.“
Als Beispiel nennt Steinacher
einen 82-jährigen, einst hoch angesehenen Beamten. Sein Lebenslauf kurz skizziert: guter Job, falschen Freunden das Geld anvertraut, Alkohol, Scheidung, Schulden. „Er schlief zuletzt in seinem Auto. Dann kam er zu uns, weil nichts mehr ging. Es trifft also auch Beamte, Ärzte, Betriebswirte – niemand ist davor gefeit, hier zu landen.“as Problem der Armut im Alter untermauert Nora Tödtling-musenbichler, Koordinatorin der Vinziwerke Österreich: „Wir spüren es in allen unseren Einrichtungen.
DDie Armut hat viele Gesichter. Sie kennt auch keine Altersgrenze mehr. Wir merken in allen Einrichtungen, dass Ältere vermehrt Hilfe brauchen. Nora Tödtling-musenbichler
Im Vinzitel zum Beispiel, unserer Notschlafstelle für Männer und Frauen, musste eine neue Alterskategorie (65 bis 85) eingeführt werden.“
Dass viele Pensionisten sich ihr alltägliches Leben nicht mehr leisten können, zeige sich auch im Vinzimarkt, in dem finanziell bedürftige Grazer günstig Lebensmittel kaufen können. „Heuer gab es bei den Einkaufsberechtigungsausweisen an Mindestpensionisten einen Anstieg von 30 Prozent.“
Konstant bleiben die Gründe für die Wohnungslosigkeit bei 60 plus: psychische Erkrankungen, Scheidung, Alkohol/ Sucht, kein Pensionsanspruch oder Mindestpension. Frauen sind zusätzlich betroffen, wenn sie Alleinerzieherinnen sind.
Natürlich sind es schwierige Leute“, sagt Sabine Steinacher abschließend, „und wir schaffen es bei vielen, aber nicht bei allen.“Der Anstieg der Altersarmut bereitet ihr spürbar Sorgen, denn: „Wir sind an den Grenzen, was Betreuung und Pflege betrifft, angelangt.“
Ziel war es
In 40 Einrichtungen und Projekten finden österreichweit bis zu 450 Personen Unterkunft.
Die Vinziwerke finanzieren sich zu 75 Prozent aus Privatspenden. Ein Erlagschein liegt heute
Ihrer Kleinen Zeitung bei.