Föhnwelle in Dauerschleife
verlieben sich auch – keine Sorge, sonst wäre dieser Film keine Romcom. Der Selbstfindungstrip von Kate wird durch eine Begegnung mit dem unberechenbaren Tom (Henry Golding, „Crazy Rich“) angeregt, einem Mann mit einer supersauberen Wohnung, einem eingesperrten Smartphone und einer wohltätigen
Ader: Er hilft im Obdachlosenheim aus. Tom beschert Kate mehr Herzlichkeit und Gemeinschaftssinn. Es wirkt, als seien sie ein Herz und eine Seele. Es kommt zum Happy End, aber anders als erwartet. Das ist eine der großen Stärken des Films – er versucht mehr aus dem Genre der platten Romantikkomödie herauszuholen, verknüpft Herzschmerz mit den Themen Brexit oder wachsender Fremdenfeindlichkeit. Nicht alles, aber vieles glückt.
Das Lichterketten-london ist eine heimliche Hauptdarstellerin in „Last Christmas“– Emilia Clarke, Emma Thompson und Regisseur Paul Feig („Brautalarm“) kennen sich dort gut aus. Das Publikum profitiert, es reist in die engste Gasse, besucht hinreißende Innenhofgärten oder dringt in entzückende Eishallen ein. Selbstverständlich inklusive atemberaubender Beleuchtung.
Eigentlich ein kapitaler Denkfehler: Da verliert jemand sein Herz und um weitere Tränen zu vermeiden, gibt er es im Jahr darauf jemand Besonderem. Aber wer sagt, dass das Herzelein nicht wieder mit Füßen (Moonboots?) getreten wird? Egal. Logik und Pop-musik sind kein Traumpaar. Und wenn die Rede von „Last Christmas“ist, geht es schon gar nicht ums Denken, sondern ums Fühlen. Ob viel geliebt oder zutiefst gehasst, auch egal. An der winterweißen Wham!wunderwelt kommt man in Zeiten wie diesen nicht vorbei, seit 35 Jahren nicht. Veröffentlicht wurde der Song des Duos George Michael und Andrew Ridgeley am 15. Dezember 1984. Blöderweise
hat in diesem Jahr auch ein gemenschen wisser Bob Geldof mit seinem Hilfsprojekt Band Aid der Welt mit „Do They Know It’s Christmas?“einen Weihnachtshit beschert. Wiederum egal. Denn obwohl „Last Christmas“nicht auf Platz 1 in den Charts landete, verkauften sich von der Single allein im ersten Jahr 1,5 Millionen Stück. Zeitlebens brachte der Song George Michael – er starb am 25. Dezember (!) 2016 im Alter von 53 Jahren – jährliche Tantiemen in der Höhe von acht Millionen Euro. Nur ihm, wohlgemerkt, sein Wham!-partner Ridgeley ging leer aus. Barry Manilow übrigens nicht. Der Schmusesänger hatte geklagt, dass „Last Christmas“allzu große Ähnlichkeiten mit seinem Song „Can’t Smile Without You“habe. Laut außergerichtlicher Einigung flossen die „Last Christmas“-einnahmen aus dem ersten Jahr in das Projekt Band Aid – worüber sich wiederum Sir Bob freute.
Ähnlich berühmt-berüchtigt wie der Song ist das dazugehörige Video. Die prächtige Winterlandschaft, Michaels mächtige Föhnwelle, die feschen Norwegerpullover, das kuschelige Kaminfeuer, die lustigen Schneeballschlachten, das knallrote Kleid der Herzräuberin, all diese wohlig-kitschigen Bilder sind in den optischen Soundtrack unseres Lebens eingefräst. Weniger romantisch waren die Dreharbeiten dazu. Gefilmt wurde im Schweizer Skiort Saas-fee. Ein Chalet war schnell gefunden, doch weil der Schlüssel dazu nicht aufzutreiben war, mussten die Innenszenen in einem Gemeindezentrum gedreht werden. Auch das Wetter spielte nicht mit – Nebel! Alles egal. Auch dass „Last Christmas“eigentlich gar kein Weihnachtslied ist, ändert nichts daran, dass der Song auch heuer wieder in Dauerschleife durch unsere Gehörgänge rauschen wird. Ob wir wollen oder nicht. Bernd Melichar