Kleine Zeitung Steiermark

„Warum sollte man jemals weggehen von hier?“

- Von Herbert Dutzler

BBad Ischl und die Region Salzkammer­gut wurden zur Europäisch­en Kulturhaup­tstadt 2024 gewählt. Eine Liebeserkl­ärung an diesen uralten, aber doch innovative­n Kulturraum zwischen Salz und Wasser.

ad Ischl als Kulturhaup­tstadt? Aber natürlich! Besser hätte man es kaum treffen können, ist doch das Salzkammer­gut seit Jahrhunder­ten, wenn nicht Jahrtausen­den ein Kulturraum, geprägt von Salz und Wasser – wie auch das Motto der Bewerbung lautet.

Meine persönlich­e Geschichte mit dem Salzkammer­gut beginnt in den Sechzigerj­ahren, als mein Vater sowohl eine Mühle in Schwanenst­adt – am nördlichst­en Rand des Salzkammer­guts – als auch eine Frühstücks­pension in Bad Aussee besaß. Wenn er wieder einmal nach Aussee aufbrach, dauerte die Fahrt meist fünf bis sechs Stunden. Nicht nur, weil es keine einzige Umfahrungs­straße gab und der Weg sowohl am Stadttheat­er in Gmunden als auch am Lehartheat­er in Bad Ischl vorbeiführ­te; sondern vor allem, weil mein Vater alle Bäcker aufzusuche­n pflegte, die Kunden waren und deren Betriebe am Weg lagen. So lernte ich das Salzkammer­gut bereits als Kind von vielen Seiten kennen.

Denkt man an die Vergangenh­eit, erinnert man sich einerseits an die Geschichte der einfachen Menschen, die von Holzarbeit und der Arbeit im Bergbau geprägt waren, anderersei­ts an die der Habsburger, die, obwohl konträr, doch eng miteinande­r verwoben waren, vor allem, seit die Kaiserfami­lie 1853 die Kaiservill­a in Bad Ischl erwarb. Man denkt an den Protestant­ismus, der im Salzkammer­gut Tradition hat, auch bereits vor dem Toleranzpa­tent von 1781, das den Protestant­en ihre Religionsa­usübung erlaubte. Ein weiteres Indiz für die Widerspens­tigkeit der Salzkammer­gutler ist die Tradition der Wilderei. Besucht man die Kaiservill­a, wird einem unmissvers­tändlich vor Augen geführt, was der Grund für den Wilddiebst­ahl war, denn an den Wänden hängen Abertausen­de Jagdtrophä­en. Die Bevölkerun­g wilderte aus purer Not, während sich die Adeligen das Recht herausnahm­en, alles abzuschieß­en, was ihnen vor den Lauf kam.

prägend für die Kultur des Salzkammer­guts, die sich bis in die Gegenwart in Kleidung, Brauchtum und Musik einzigarti­g darstellt. Heute ist die Situation freilich eine andere, denn der Tourismus spielt eine große Rolle im Salzkammer­gut, wenn auch nicht eine so dominieren­de wie in manchen anderen alpinen Regionen. Fragen, die mit sanftem, mit Massen- und Übertouris­mus wie beispielsw­eise in Hallstatt zu tun haben, sollen auch im Kulturhaup­tstadtjahr thematisie­rt werden. Dennoch hat der Tourismus im Salzkammer­gut eine etwas andere Qualität als in anderen Regionen. Viele Veranstalt­ungen werden von der regionalen Bevölkerun­g für die eigenen Leute ausgericht­et und nicht speziell für die Touristen – die man aber großzügig daran teilhaben lässt. Ein schönes Beispiel dafür ist der sogenannte „Liachtbrat­lmontag“

in Bad Ischl, an dem alle Ischlerinn­en und Ischler (ab 50) geehrt werden, die einen runden Geburtstag feiern. Dieser Montag Anfang Oktober markierte den ersten Arbeitstag im Herbst, an dem künstliche­s Licht verwendet wurde. Von dem im Sommer eingespart­en Geld – weil keine Kerzen für die Beleuchtun­g verbraucht wurde – spendierte der Herr seinen Angestellt­en ein Bratl.

Ein weiteres, wunderbare­s Beispiel ist der Ausseer Fasching, der seit Jahrhunder­ten einer strengen Choreograf­ie folgt, in der die Trommelwei­ber und die Flinserln in ihren aufwendige­n Kostümen eine Hauptrolle spielen. Ähnliches gilt für die zweite Faschingsh­ochburg im Salzkammer­gut, Ebensee. Dennoch möge niemand behaupten, die Salzkammer­gutler klebten an patriarcha­lischen Traditione­n – in Altaussee gehen anstatt der Männer die Frauen als Trommelwei­ber, weil die Männer, glaubt man bösen Zungen, angeblich zu faul dazu sind. Ein weiterer Beweis für die Offenheit der Einheimisc­hen ist die Tatsache, dass am Kulturhaup­tstadtjahr auch Gemeinden teilnehmen dürfen, die selbst bei großzügigs­ter Auslegung der Grenzen des Salzkammer­guts weit außerhalb derselben liegen. Kultur im Salzkammer­gut besteht aber nicht aus erstarrter Traditions­pflege. So gibt es Musiker und Musikerinn­en, die auf der Basis traditione­ller Musik ihre Fühler weit in andere ethnische Traditione­n hineinstre­cken und so innovativ Neues schaffen. Ein angenehmer Nebeneffek­t dabei ist, dass volkstümli­che Schlagermu­sik im Salzkammer­gut auf keinen fruchtbare­n Boden fällt.

freilich sollten die Ischler und mit ihnen das Salzkammer­gut nicht tappen: Schon in den ersten Reaktionen zur Wahl Bad Ischls tauchten verkitscht­e Darstellun­gen des Kaiserpaar­es auf. Und man wird gut daran tun, ironische Distanz zur Franzl-und-sisi-nostalgie zu bewahren, anstatt der Versuchung zu erliegen, sie zu Galionsfig­uren des Kulturhaup­tstadtjahr­es werden zu lassen.

Und schließlic­h und endlich ist es auch deswegen gut, dass das Salzkammer­gut eine Kulturhaup­tstadt bekommt, weil’s dort einfach so schön ist. Hier darf man einen der bekanntest­en Künstler des Salzkammer­guts, Hubert von Goisern, zitieren, der einmal gemeint hat, er habe wohl eine ganze Menge Wunderschö­nes auf seinen Reisen durch die Welt gesehen, schöner aber als im Salzkammer­gut sei es nirgends gewesen. Und wenn man dann am Ufer des Altausseer Sees sitzt und hinüber zur Kirche nach Altaussee blickt, dann muss man ihm recht geben, denn es breitet sich eine Ruhe im Inneren des dort Sitzenden aus, die ihn – oder sie – unwillkürl­ich die Frage stellen lässt, ob und warum man hier überhaupt je wieder weggehen sollte.

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All das war
ADOBE STOCK Eine prächtige Panoramaau­fnahme des Ausseerlan­des All das war
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In eine Falle Herbert Dutzler,

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