Eine Absage an Symbolpolitik
Der Verfassungsgerichtshof macht Österreich mit der Aufhebung des Kerns der Mindestsicherungsreform keineswegs „unregierbar“– er verlangt aber gute Gründe für Gesetze.
Wer sich gestern in den rechten Ecken des Internets zur Aufhebung zentraler Teile der türkisblauen Mindestsicherungsreform kundig machen wollte, musste nicht lange nach einer Einordnung suchen: „Die Verfassungsrichter machen Österreich unregierbar!“, hieß es da, „ein Feind der Steuerzahler, dieses Polit-tribunal“, die FPÖ Steiermark erklärt, „VFGH öffnet Sozialtourismus aus aller Herren Länder Tür und Tor“.
Solche Stellungnahmen verkennen völlig die Lage: Der Verfassungsgerichtshof hat mit seinem Erkenntnis nämlich keineswegs jeglicher Reform einen Riegel vorgeschoben – wohl aber einer allzu plumpen Symbolpolitik, die mehr für den Bauch gemacht wird als mit Hirn und Vernunft.
Und genau das war die Reform der Mindestsicherung durch die türkis-blaue Koalition: Statt Leistungsanreize, Kontrollen und Sanktionen ins Zentrum zu stellen – was durchaus notwendig wäre –, fokussierte die Reform auf Signale, die der türkis-blauen Wählerschaft zusagen sollten: nicht-deutschsprachige Zuwanderer und kinderreiche Familien sollten besonders getroffen werden. Und zwar, ohne groß zu begründen, warum jemand, der sich redlich bemüht, Deutsch zu lernen, erst wenn er das passende Zeugnis hat, die volle Hilfe bekommen soll, oder warum solche Familien plötzlich mit weniger Geld pro Kind auskommen sollten, während andere staatliche Förderungen wie die Familienbeihilfe mit jedem Kind steigen.
Beide Punkte hat der VFGH (übrigens mit mehr von ÖVP und FPÖ als von der SPÖ ernannten Richtern, um Dolchstoßlegenden vorzubeugen) nun als unsachlich und damit verfassungswidrig aufgehoben.
Der Gesetzgeber, so das eindeutige Signal der Höchstrichter, kann eben nicht nach Belieben fuhrwerken – schon gar nicht auf dem Rücken von Kindern und ihren Familien –, sondern muss gut begründen, was er tut.
Das schließt eine Reform der Mindestsicherung natürlich nicht aus – man darf durchaus hoffen, dass etwa die Länder nun den vom VFGH erweiterten Spielraum sinnvoll ausnutzen – aber handwerklich solide muss sie eben gemacht sein. eparaturbedürftig wären etwa die Passagen der Reform zur Schaffung einer einheitlichen Sozialhilfe-statistik: Hier hat Türkis-blau durch allzu weite Formulierungen das Grundrecht auf Datenschutz verletzt. Das sollte mit Augenmaß korrigiert werden, um Ursachen zu identifizieren, wer warum häufig in die Sozialhilfe abrutscht, und Maßnahmen dagegen aufzustellen.
Auch, wenn manche Passagen des Vfgh-erkenntnisses etwas naiv anmuten – etwa die pauschale Feststellung, Asylberechtigte hätten „ihren Wohnsitz in Österreich nicht frei gewählt“: Die Republik kann sich glücklich schätzen, ein trotz politischer Auswahl der Richterschaft unabhängiges Verfassungsgericht zu haben, das die Politik im Zaum hält. Das sollte bedenken, wer in der Hitze des Gefechts schnell einmal die ganze Institution attackiert.
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