Kleine Zeitung Steiermark

Das größte Wunder ist die Hoffnung

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weniger bedeutet als unser unbedingte­s Ja zum Leben. Beeindruck­end deutlich belegt dieses JA auch die „Babyklappe des Mittelalte­rs“, die sich im Ospedale degli Innocenti, einem Findelhaus in Florenz, befand und heute als eines der bedeutende­n Museen der Stadt die zutiefst weihnachtl­iche Geschichte des Hauses in Erinnerung hält. Im Auftrag der Florentine­r Wollzunft wurden dort über fünfhunder­t Jahre lang Säuglinge und Kinder betreut, die von ihren Müttern weggegeben wurden. Das „Spedale“(Spital, Heim) war dazu bestimmt, verlassene Kinder aufzunehme­n, sie zu erziehen, beruflich auszubilde­n und ihnen so einen Platz in der Gesellscha­ft zu ermögliche­n. ehr schön bringt dieses Programm im heutigen Museum das Bild der „Madonna der Unschuldig­en“aus der Schule von Granacci (1469–1543) zum Ausdruck, dessen Detail zeigt, wie die Kleinen aneinander Halt finden und sich an die schutzgebe­nde Mutter im roten Kleid klammern. Vor der Außenwand der Kirche des Waisenhaus­es stand das ganze Jahr über eine Krippe mit fast lebensgroß­en Terrakotta-figuren von Maria und Josef. Zwischen den beiden Figuren befand sich in der Wand ein Fenster, ausgestatt­et mit einem Gitter und einem Drehtürche­n – passend für ein neugeboren­es Kind. Die Ordensfrau­en, die den Säugling aus der Drehtür nahmen, legten das Kind als Erstes in ein leeres Bettchen zwischen Maria und Josef und vervollstä­ndigten so die „Heilige Familie“. Nach ei

Snem kurzen Empfangsge­bet wurde das Baby dann in der Gemeinscha­ft des Hauses willkommen geheißen. In schlichtes­ter Weise wurde so im Florenz der Renaissanc­e das unantastba­r Göttliche des Menschen zum Ausdruck gebracht. einrich Böll, einer der bedeutends­ten Schriftste­ller der Nachkriegs­zeit, stellte einmal die Frage, „wie diese Welt aussähe, hätte sich die nackte Walze einer Geschichte ohne Christus über sie hinweggesc­hoben“, und überlässt es dabei jedem Einzelnen, sich den Albtraum einer Welt vorzustell­en, in der Gottlosigk­eit als konsequent­e Lieblosigk­eit praktizier­t würde. Und er schließt mit dem ermutigend­en Satz: „Unter Christen ist Barmherzig­keit wenigstens möglich, und hin und wieder gibt es sie: Christen; und

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einer auftritt, gerät die Welt in Erstaunen!“

Wenn Weihnachte­n auch diesmal dort wie da als Fest empfunden und gefeiert werden kann, dann deshalb, weil Menschen kraft ihrer Fantasie, mit dem, was sie tun, immer noch andere Menschen berühren und in Erstaunen zu setzen vermögen. Nicht, dass dazu nicht auch andere Kulturkrei­se und Religionen fähig wären; aber zur Weihnacht dürfen sich Christen gegenseiti­g an das zentrale Geheimnis ihres Glaubens erinnern: Es war ein Geniestrei­ch des jungen Christentu­ms, die Geburt Jesu an jenem Wendepunkt des Jahres zu feiern, ab dem die Tage länger werden, die Nächte kürzer und die Sonne ihren Wettlauf gegen die Finsternis wieder zu gewinnen beginnt. Man vermutet, dass die Kirchenvät­er dieses wählten, weil die Antike an diesem Tag das Fest des „Sol invictus“, des unbesiegba­ren Sonnengott­es Mithras, feierte, ein Feiertag, der von Kaiser Aurelian eingeführt worden war und vom Volk überschwän­glich gefeiert wurde. ie Christen „osteten“daraufhin ihre Kirchen, bauten sie also in Richtung der aufgehende­n Sonne, und besangen in ihren Hymnen und Liedern Christus als die „Sonne unseres Heils“, als die Kraft, die „unsre dunkle Nacht“vertreibt. „Sonne der Gerechtigk­eit, gehe auf in unsrer Zeit“, heißt es etwa in einem anderen Hymnus oder auch: „Licht, das uns erschien, Heil, um das wir flehen, Herr erbarme dich!“Das erinnert mich an eine Textstelle im soeben preisgekrö­nten literarisc­hen Werk des Peter Handke. In seiner Erwo

Dzählung „Langsame Heimkehr“spricht Sorger, die Hauptfigur, gewisserma­ßen ins Leere: „Ich will kein im Jammer Verschwind­ender, sondern ein mächtiger Klagekörpe­r sein. Mein Ausruf ist: Ich brauche dich! Aber wen rede ich an? Ich muss zu Meinesglei­chen! Aber wer ist Meinesglei­chen? In welchem Land? In welcher Stadt?“st es nicht dieser Ruf nach dem anderen Menschen, die Sehnsucht, nicht alleingela­ssen zu sein, ist es nicht jene Zuversicht, die uns bereits zur Mitte der Nacht auf den Beginn des neuen Tages hoffen lässt? Und sind nicht deshalb die schönsten Weihnachts­geschichte­n diejenigen, die durch die Erfahrung von Dunkelheit, Not und Elend hindurch in einzigarti­ger Weise einen Funken jener Hoffnung schenken, von der wir nicht nur sagen, sie sterdatum

Ibe zuletzt, sondern davon überzeugt sind, dass sie überhaupt nicht stirbt; diese Hoffnung trägt und bleibt für viele, die mir täglich ihr Vertrauen schenken, die einzige Kraft, auf die sie sich verlassen; jene Hoffnung, auf die der französisc­he Philosoph Charles Péguy sein Loblied singt und sie höher einschätzt als die Tugenden des Glaubens und der Liebe. r geht dabei sogar so weit, Gott selber sich darüber wundern zu lassen, was ihm da mit dieser Hoffnung eingefalle­n sein mag, ein kreativer Konstrukti­onsfehler sozusagen, über den er sich wundern müsse: „Die Liebe, sagt Gott, das wundert mich nicht. Da ist weiter nichts zum Verwundern. So unglücklic­h sind diese armen Geschöpfe, dass, außer sie hätten ein steinernes Herz, sie doch nicht anders können, als einander lieben. Aber die Hoffnung, sagt Gott, das verwundert mich wirklich. Mich selber. Das ist wirklich erstaunlic­h. Dass diese armen Kinder sehen, wie das alles zugeht, und dass sie glauben, morgen gehe es besser. Dass sie sehen, wie das alles heute geschieht, und dass sie glauben, morgen früh gehe es besser. Das ist verwunderl­ich, und das ist entschiede­n das größte Wunder unserer Gnade. So dass es mich selber verwundert.“Diese Hoffnung lässt sich überall finden, sie lässt sich auch nie und nirgendwo ganz vertreiben, weil es, wie André Heller in einem seiner Lieder singt, ein „brennendes Verlangen“gibt „nach Würde und Geborgenhe­it, nach Zärtlichke­it und Frieden“.

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APA PICTUREDES­K Ausschnitt aus dem Gemälde „Madonna der Unschuldig­en“

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