Fest der Sehnsucht
Weihnachten hat sich längst verselbstständigt. Doch erst sein religiöser Kern macht es zu dem erhabenen Ereignis, nach dessen Glanz sich heute so viele sehnen.
Es gehört heutzutage zum guten Ton, die Unverwüstlichkeit von Weihnachten zu preisen. Das Fest, so liest und hört man es alle Jahre wieder, habe den Stürmen der Zeit getrotzt und über alle Verwerfungen von Moderne, Postmoderne und Anfechtungen von Kitsch und Kommerz hinweg seinen Glanz bewahrt.
Tatsächlich ist das „Hochfest der Geburt des Herrn“von sämtlichen christlichen Feiertagen, die vor gar nicht langer Zeit auch in unseren Breiten noch den Jahreslauf skandierten, mit Abstand der beliebteste, ja mitunter beschleicht einen sogar der Eindruck, seine Popularität wächst in genau dem Maße, in dem sich die Kirchen leeren.
Die Gründe dafür muss man nicht lange suchen. Die Geburt eines Kindes ist ein Ereignis von elementarer Wucht. Sie bleibt nach irdischen Maßstäben aber fassbar, während Ostern mit seinem Mysterium der Auferstehung für immer eine Zumutung für den menschlichen Verstand sein wird.
Der ungebrochene Zauber von Weihnachten hat vor allem aber auch damit zu tun, dass das Fest sich in unseren Breiten längst verselbstständigt hat und mittlerweile eine Vielzahl unterschiedlicher Deutungen zulässt. Als universales Fest der Familie, Fest der Liebe und des Lebens wird es wahlweise von vielen gefeiert, und die Wochen davor, der Advent, als Zeit der Stille, des Wartens, der inneren Einkehr und Besinnlichkeit.
Und so werden sich auch am heutigen Heiligen Abend Menschen um den geschmückten Weihnachtsbaum versammeln und gemeinsam „Stille Nacht“singen, die mit Religion und Glaube nichts mehr am Hut haben, und der eine oder andere Kirchenferne wird vielleicht sogar die Christmette besuchen.
Das hat etwas Schönes und Berührendes. Man darf die Kraft dieser Rituale nicht gering schätzen. Und schon gar nicht sollte man die Sehnsucht und das Bedürfnis vieler kleinreden, in Zeiten zunehmender geistiger Unbehaustheit wenigstens einmal im Jahr einen spirituellen Anker zu finden.
Aber muss man sich nicht trotzdem die Sinnfrage stellen? Warten worauf? Stille und Besinnlichkeit warum und wozu?
In seinem Buch „Europa – eine exzentrische Identität“weist der Pariser Philosoph Rémi Brague darauf hin, dass Europa als christliche Zivilisation von Menschen geschaffen wurde, die an Christus glaubten, nicht an das Christentum. Das mag auf den ersten Blick haarspalterisch klingen. Doch es ist ein fundamentaler Unterschied. s bedeutet, dass das Christentum als Gläubigen und Nichtgläubigen gleichermaßen zugewandte positive Kraft auch in Zukunft nur dort unseren Kontinent wird gestalten können, wo es lebendiger Glaube bleibt und nicht zum reinen, seines religiösen Inhalts entkleideten Ritual gerät.
Das gilt auch für Weihnachten: Ohne den Glauben, dass Gott vor 2000 Jahren Mensch wurde, gäbe es das Fest nicht. Doch der religiöse Fels, auf dem der Heilige Abend steht, bröckelt. Und dennoch macht erst er und nur er die Erhabenheit von Weihnachten aus.
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