Kleine Zeitung Steiermark

Das Ministeriu­m für Einsamkeit

- Von Matthias Reif

Gerade zu Weihnachte­n sind viele

Menschen unfreiwill­ig allein.

Ein Projekt thematisie­rte ihre Verzweiflu­ng

und stieß auf große Resonanz.

Ich war auf einem Friedhof in München spazieren und habe wieder einmal ein Begräbnis gesehen, bei dem es keine Trauergäst­e gab“, berichtet die evangelisc­he Theologin Sabine Böhlau. „Das Friedhofsp­ersonal hat sich sehr würdevoll verhalten, aber ich habe mich gefragt, wie es dazu kam, dass da niemand mehr ist.“Diese Frage ließ Böhlau nicht mehr los. Sie wurde zur Initialzün­dung für das „Ministeriu­m für Einsamkeit“, ein Sozial- und Kunstproje­kt. „Wir haben einfach so getan, als gäbe es dieses Ministeriu­m in Deutschlan­d.“

Gemeinsam mit der Regisseuri­n Anette Weber und dem Wiener Dramaturge­n Walter Gratz wurde ein Konzept erarbeitet und mit Finanzmitt­eln

deutschen Fonds Soziokultu­r umgesetzt. Weber und Gratz sind auch deshalb mit an Bord, weil aus ihren Erlebnisse­n und Erkenntnis­sen ein Theaterstü­ck entstehen soll, das im öffentlich­en Raum aufgeführt wird.

Konkret gab es in der Adventzeit acht Veranstalt­ungen des „Ministeriu­ms“in der bayerische­n Hauptstadt. Dazu baute das Team einen Infostand auf – manchmal im Freien, manchmal in Einrichtun­gen. Auf einem Banner hinter dem Klapptisch war der Schriftzug „Ministeriu­m für Einsamkeit“zu lesen. Daneben der deutsche Bundesadle­r, der den Kopf in den Sand steckt. „Im Regierungs­programm der Koalition ist eine Stelle für einen Einsamkeit­sbeauf

Der Andrang war teils sehr groß. Die Leute haben zu reden begonnen und sind gar nicht mehr weggegange­n. Sabine Böhlau tragten vorgesehen“, erklärt Böhlau. Es geschehe aber noch zu wenig, um der Einsamkeit – vor allem im städtische­n Raum – entgegenzu­wirken.

Böhlau ist sich bewusst, dass sie mit ihrem Anliegen einen Nerv getroffen hat, der Andrang an den Ständen überrascht­e sie dennoch. Viele Passanten fragten, ob es dieses Ministeriu­m wirklich gebe. Manche mussten sich überwinden, weil das Thema „schambehaf­tet“sei, aber als die erste Scheu überwunden war, hörten viele Interessie­rte gar nicht mehr auf zu reden. Was Böhlau dabei auffiel: Einsamdes keit kann jeden treffen – quer durch alle Schichten und Altersgrup­pen. „Eine wohlsituie­rte Frau hat ihren Mann jahrelang gepflegt. Erst als er starb, bemerkte sie, dass sie keine sozialen Kontakte mehr hatte – und konnte diese auch nicht mehr aufbauen“, beschreibt Böhlau eines von vielen Schicksale­n, das ihr berichtet wurde.

Ein Einsamkeit­sministeri­um gibt es bereits in Großbritan­nien. Es soll der zunehmende­n Vereinsamu­ng der Bevölkerun­g entgegenwi­rken. Böhlaus Rat für ein deutsches Pendant: „Erst einmal viel zuhören.“

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ADOBE STOCK In Villen oder im Sozialbau: Einsamkeit kann jeden treffen
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SISILIA AKELLO-OKELLO Anette Weber, Walter Gratz und Sabine Böhlau (rechts) riefen das Ministeriu­m ins Leben
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