Das Ministerium für Einsamkeit
Gerade zu Weihnachten sind viele
Menschen unfreiwillig allein.
Ein Projekt thematisierte ihre Verzweiflung
und stieß auf große Resonanz.
Ich war auf einem Friedhof in München spazieren und habe wieder einmal ein Begräbnis gesehen, bei dem es keine Trauergäste gab“, berichtet die evangelische Theologin Sabine Böhlau. „Das Friedhofspersonal hat sich sehr würdevoll verhalten, aber ich habe mich gefragt, wie es dazu kam, dass da niemand mehr ist.“Diese Frage ließ Böhlau nicht mehr los. Sie wurde zur Initialzündung für das „Ministerium für Einsamkeit“, ein Sozial- und Kunstprojekt. „Wir haben einfach so getan, als gäbe es dieses Ministerium in Deutschland.“
Gemeinsam mit der Regisseurin Anette Weber und dem Wiener Dramaturgen Walter Gratz wurde ein Konzept erarbeitet und mit Finanzmitteln
deutschen Fonds Soziokultur umgesetzt. Weber und Gratz sind auch deshalb mit an Bord, weil aus ihren Erlebnissen und Erkenntnissen ein Theaterstück entstehen soll, das im öffentlichen Raum aufgeführt wird.
Konkret gab es in der Adventzeit acht Veranstaltungen des „Ministeriums“in der bayerischen Hauptstadt. Dazu baute das Team einen Infostand auf – manchmal im Freien, manchmal in Einrichtungen. Auf einem Banner hinter dem Klapptisch war der Schriftzug „Ministerium für Einsamkeit“zu lesen. Daneben der deutsche Bundesadler, der den Kopf in den Sand steckt. „Im Regierungsprogramm der Koalition ist eine Stelle für einen Einsamkeitsbeauf
Der Andrang war teils sehr groß. Die Leute haben zu reden begonnen und sind gar nicht mehr weggegangen. Sabine Böhlau tragten vorgesehen“, erklärt Böhlau. Es geschehe aber noch zu wenig, um der Einsamkeit – vor allem im städtischen Raum – entgegenzuwirken.
Böhlau ist sich bewusst, dass sie mit ihrem Anliegen einen Nerv getroffen hat, der Andrang an den Ständen überraschte sie dennoch. Viele Passanten fragten, ob es dieses Ministerium wirklich gebe. Manche mussten sich überwinden, weil das Thema „schambehaftet“sei, aber als die erste Scheu überwunden war, hörten viele Interessierte gar nicht mehr auf zu reden. Was Böhlau dabei auffiel: Einsamdes keit kann jeden treffen – quer durch alle Schichten und Altersgruppen. „Eine wohlsituierte Frau hat ihren Mann jahrelang gepflegt. Erst als er starb, bemerkte sie, dass sie keine sozialen Kontakte mehr hatte – und konnte diese auch nicht mehr aufbauen“, beschreibt Böhlau eines von vielen Schicksalen, das ihr berichtet wurde.
Ein Einsamkeitsministerium gibt es bereits in Großbritannien. Es soll der zunehmenden Vereinsamung der Bevölkerung entgegenwirken. Böhlaus Rat für ein deutsches Pendant: „Erst einmal viel zuhören.“