Bei großen Fragen ist ein radikales Denken gefragt
Angesichts der schwierigen Regierungsverhandlungen zwischen zwei Parteien, die so grundverschieden sind, und angesichts der Befürchtung, am Ende könnte ein schwammiger Kompromiss herauskommen, stellt sich die Frage: Gäbe es Alternativen?
Der Grazer Mathematiker und Systemanalytiker Erich Visotschnig hat ein interessantes System entworfen, das der strukturellen Verbesserung unseres Zusammenlebens dienen soll, von der Familie bis zur EU. Das Prinzip heißt „Systemisches Konsensieren“und sollte die bisherige Methode des Wählens ersetzen. Weil Demokratie wesentlich mehr bedeutet als mechanische Mehrheitsfindung.
Eines der Grundprinzipien bei Visotschnig ist, den Widerstand gegen eine mögliche Lösung ernst zu nehmen. Und für die Zukunft schlägt er vor, das System vom Kopf auf die Füße zu stellen,
und beruft sich auf Artikel „Können wir 1 der Bundesverfassung: die Weisheit „Österreich ist eine
demokratische Republik. der vielen nicht
Ihr Recht geht vom Volk in ein besseres aus.“Daraus folgert der System bringen, Autor: „Müsste das um die vielen Machtgefälle ... nicht umgekehrt sein? Müsste die Interessen im
größte Macht nicht bei Volk abzubilden?“
den Bürgern liegen?“Dies als Plädoyer für mehr Volksabstimmungen zu deuten, wäre ein Missverständnis. Weil dabei wie bei jeder Wahl bloß gezählt wird und es gibt Sieger und Verlierer.
In Visotschnigs Modell sind es die Bürger auf der untersten Ebene, den Gemeinden, die ihre Entscheidungen im Wege gemeinsamen Konsensierens finden. Er geht dabei von folgender Prämisse aus: „Das geringe Wissen vieler einzelner summiert sich zu großem gemeinsamen Wissen.“Er vertraut auf die „Weisheit der vielen“. Und von unten immer weiter hinauf gehen die Entscheidungen. isotschnig würde unser Wahlsystem durch ein kompliziertes digitales System ersetzen, das teuer ist. Aber das sind unsere Wahlen auch. Alles nachzulesen in Visotschnigs Buch mit vielen praktischen Beispielen: „Nicht über unsere Köpfe. Wie ein neues Wahlsystem die Demokratie retten kann.“Bei großen offenen Fragen ist es sinnvoll, sich über radikales Denken den Kopf zu zerbrechen.
Peter Huemer lebt als Autor in Wien
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