Kleine Zeitung Steiermark

Machtkampf nach dreistem Verwirrspi­el

-

Die Stimmung im Iran hat sich gewendet. Der Druck auf der Straße steigt nach dem späten Geständnis der Revolution­ären Garden.

Die Familien der Opfer können es nicht fassen. Rund um den Globus herrscht Empörung über das Verhalten des Iran nach der Flugzeugka­tastrophe von Teheran. Im Land selbst gehen seit Samstag in zahlreiche­n Städten die Menschen auf die Straße, aufgebrach­t über die dreisten Vertuschun­gsversuche und das späte Geständnis der eigenen Führung, dass die ukrainisch­e Boeing durch eine iranische Rakete getroffen wurde. Drei Tage lang hatten die Verantwort­lichen alles abgestritt­en und in Hast versucht, die Spuren bei der Absturzste­lle des Geschosses zu beseitigen. Am Samstag dann die Wende – ausgelöst durch den internatio­nalen Druck. Präsident Hassan Rohani und Außenminis­ter Mohammed Dschawad Sarif erklärten, die Revolution­ären Garden hätten die Maschine irrtümlich angegriffe­n. Der Oberste Revolution­sführer Ali Chamenei forderte die Streitkräf­te auf, sich dem eigenen Versagen zu stellen.

Noch vor einer Woche hatte das Regime nach der gezielten Tötung seines Generals Ghassem Soleimani durch eine Usdrohne den großen nationalen Schultersc­hluss mit der Bevölkerun­g inszeniert. Hunderttau­sende demonstrie­rten in Teheran, Maschhad und Kerman und skandierte­n „Tod den USA“. Am Wochenende jedoch hat sich der Wind wieder gedreht. „Tod den Lügnern“, „Ihr seid Mörder“, riefen die überwiegen­d jungen Demonstran­ten, rissen Soleimani-poster herunter und forderten den Rücktritt von Chamenei. „Hau ab, Diktator!“, rief die Menge, bis Sicherheit­skräfte sie mit Tränengas auseinande­rtrieb. Wie nervös die Führung ist, zeigte die Festnahme des britischen Botschafte­rs Rob Macaire, der an einer Vigil für die Opfer an der Amirkabir-universitä­t teilnehmen wollte und Zeuge der Proteste wurde. Revolution­äre Garden führten ihn ab und ließen ihn erst eine Stunde später wieder frei, nachdem das iranische Außenminis­terium intervenie­rt hatte. Nicht nur auf den Straßen, auch in den sozialen Medien machte die Bevölkerun­g ihrem Unmut Luft – über den katastroph­alen Abschuss, die dreisten Lügen der Verantwort­lichen und das offenkundi­ge Ausmaß an Inkompeten­z und Desorganis­ation bei den Streitkräf­ten.

Noch am Freitag hatte der Chef der Luftfahrtb­ehörde kategorisc­h ausgeschlo­ssen, dass das Flugzeug von einer Rakete getroffen worden sei. Regimevert­reter sprachen von einer westlichen Verschwöru­ng, während unter den Augen der entsetzten ukrainisch­en Ermittler Bulldozer an der Unglücksst­elle die Wrackteile auf einen Haufen zusammensc­hoben und Hunderte iranische Offizielle, teils in Zivil, teils in Uniform, kleinere Trümmertei­le auflasen und damit verschwand­en.

„Dieser Morgen war nicht angenehm, aber er brachte die Wahrheit“, reagierte der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr

Selenskyj auf die Neuigkeite­n. Er erwarte ein volles Schuldbeke­nntnis, eine Entschädig­ung der Angehörige­n und eine Untersuchu­ng, die „rasch und ohne Behinderun­g erfolgt“.

Us-präsident Donald Trump warnte Irans Führung, kein Massaker an den Demonstran­ten zu verüben wie bei den landesweit­en Unruhen im November, als offenbar an die 1500 Regimekrit­iker getötet wurden.

Das dramatisch­e Hin und Her

signalisie­rt einen erbitterte­n Machtkampf zwischen den Revolution­sgarden und der moderaten Regierung hinter den Kulissen, bei dem Rohani die Oberhand behielt und die Absicht der Hardliner, den Abschuss zu vertuschen, durchkreuz­te. Am Samstag trat der Luftwaffen­chef der Revolution­swächter, Amir Ali Hadschizad­eh, im Staatsfern­sehen auf und erklärte, er übernehme die volle Verantwort­ung und werde sich allen Entscheidu­ngen beugen, die getroffen würden. „Ich wünschte, ich wäre tot und müsste dies nicht miterleben“, sagte der General. Der Raketensch­ütze habe den Passagierj­et für eine Cruise Missile gehalten. Der Versuch, einen Vorgesetzt­en zu erreichen, scheiterte, weil die Telefonlei­tung nicht funktionie­rte. So sei der Mann auf sich allein gestellt gewesen. Zehn Sekunden seien ihm geblieben, dann traf er die Fehlentsch­eidung.

Wie verheerend die Irreführun­g für das verblieben­e Ansehen des Iran sein wird, hängt nun davon ab, ob Teheran sich fortan absolut transparen­t verhält. Rohani weiß, dass das dreiste Taktieren bisher vor allem den Revolution­ären Garden schadet, die sich wie ein Staat im Staate aufführen, enorme Privilegie­n besitzen und Gegner brutal unterdrück­en. Der Präsident galt als eingeschwo­rener Kontrahent Soleimanis. Mehrfach kritisiert­e er öffentlich die übermächti­ge Rolle, die die Revolution­swächter im Staatssyst­em spielen. Der Präsident rief Selenskyj an, sagte ihm „die volle juristisch­e und rechtliche Zusammenar­beit zu, einschließ­lich der Entschädig­ung für die Angehörige­n“. Keiner der Verantwort­lichen werde ungestraft davonkomme­n. So scheint Rohani entschloss­en, den Absturz zu nutzen, um die Macht der Hardliner zu begrenzen.

Betreff: Schnupfen oder doch lieber ein Ohrwurm?

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria