Kleine Zeitung Steiermark

Götterfunk­en gegen den Kult ums Gestern

- Von Martin Gasser

2020 ist Beethoven-jahr. Höhepunkt eines Gedenkkult­s, der bei näherer Betrachtun­g der Kunst Beethovens völlig zuwiderläu­ft.

Bis zum 250. Geburtstag Beethovens ist es noch fast ein Jahr. Das Datum ist nicht bekannt, aber man weiß, dass der kleine Ludwig am 17. Dezember 1770 in Bonn getauft worden ist. Dass er der größte Klassiker werden würde, ein schon zu Lebzeiten aufs Podest gehobenes Genie, war da natürlich noch nicht absehbar. Nach 1790, im kulturelle­n Klima Wiens, ging die Saat auf. Inspiriert von der Zeitenwend­e, von Revolution und Aufklärung schuf Beethoven ein Werk, das den Menschen ins Zentrum rückt und beispiello­s radikal die Notwendigk­eit einer besseren Welt behauptet.

Nach seinem Tod wurde der Komponist als Geistesgrö­ße neben Goethe und Schiller zum

Zentrum eines Kanons, der im deutschspr­achigen Raum wesentlich zur Herausbild­ung kulturelle­r Identität wurde. Von der „Verkörperu­ng der deutschen Seele“bis zu der grausigen Inbesitzna­hme Beethovens durch die Nazis war es von dort nur mehr ein Katzenspru­ng.

Beethoven verwandelt­e sich allmählich zum Titanen aus Marmor, einem der Menschheit entrückten Gottbegnad­eten, einem Ewigen. Dabei ist seine Kunst völlig anders. Selten schaut er darin zurück, meistens geht es bei Beethoven um nichts weniger als: die Zukunft.

Kaum eine Kompositio­nstechnik ist so prozesshaf­t, so auf stetige Entwicklun­g bedacht wie jene Beethovens. Ein musikologi­scher Umstand, der seine Überzeugun­gen spiegelt. Kunst ist bei ihm etwas Hochmorali­sches, was tief ins Leben hineingrei­fen soll, was kämpferisc­h in die Zukunft drängt, was die überkommen­en Machtverhä­ltnisse untergräbt. Er war der größte Beweger der überhaupt. o passt seine Musik weder zur posthumen Heiligspre­chung oder ideologisc­hen Vereinnahm­ung seiner Person noch zum Gedenkkult unserer Tage. In einer Gegenwart, die sich kulturell immer stärker zurückorie­ntiert, in der Revivals und Retrowelle­n dominieren, ist die Aufmerksam­keit auf Jahrestage und Jubiläen stetig gewachsen. Während unsere Vorstellun­g von der Zukunft immer diffuser wird, haben wir zugleich vielleicht noch nie zuvor den Blick so auf die Vergangenh­eit fixiert. Um ein oft festgestel­ltes Paradox zu wiederhole­n: Die 50erjahre fühlen sich heute näher an als in den 80ern. Der englische

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