Für Scheidungen ohne Schuldfrage
Die Regierung fasst eine Reform ins Auge, Juristinnen begrüßen das.
Die türkis-grüne Regierung plant eine Änderung des Scheidungsrechtes. Insbesondere das „Verschuldensprinzip“soll überprüft und „gegebenenfalls neu geregelt“werden. Und: Paare, die eine Ehe oder Verpartnerung miteinander eingehen, sollen künftig schon vorher über die rechtlichen Folgen von Ehe und Scheidung informiert werden.
Gut so, sagt Juristin Barbara Scherer vom Grazer Frauenservice. „Die Ehe ist wie ein Vertrag, aber keiner liest die Allgemeinen Geschäftsbedingungen.“Im Falle der Scheidung müssten die Beteiligten, sofern sie minderjährige Kinder haben, schon heute nachweisen, dass sie sich über die Folgen für die Kinder haben beraten lassen. „Gut wäre es, wenn bereits vor der Ehe mit falschen Bildern würde.“
aufgeräumt
Das Verschuldensprinzip bei Scheidungen, das es anderswo in Europa kaum noch gebe, müsse abgeschafft werden. „Bei strittigen Scheidungen bekommt derjenige, dem die Schuld zugewiesen wird, nur in Ausnahmefällen, wenn minderjährige Kinder da sind oder die Frau nie gearbeitet hat, einen Unterhalt zugesprochen. Meist sind es die Frauen, die darauf angewiesen sind. Sie müssen vor Gericht das Verschulden des Mannes nachweisen.“
Zum einen neigten Gerichte eher dazu, eine gleichteilige Schuld festzustellen, zum anderen entspreche das auch oft dem Gefühl des verlassenen Partners: „Es hat meist viele Gründe und dauert lange, bis eine Ehe zerrüttet ist.“
Die Verknüpfung des Unterhaltsanspruches mit dem Verschulden sei eine „unselige Verquickung“, besser wäre es, ihn an den Bedarf zu knüpfen wie in Deutschland.
Das Pensionssplitting will die Regierung ebenfalls forcieren. Eine „faire Basis“für Scherer, wie auch für Bernadette Pöcheim von der Frauen- und Gleichstellungsabteilung der AK: „95 Prozent der Scheidungen sind einvernehmlich, die Frauen verzichten auf Unterhalt und haben auch keinen Anteil am Pensionsanspruch des Mannes. Selbst haben sie dann keine oder nur schlechte Versicherungszeiten, weil sie längere Zeit gar nicht oder in Teilzeit gearbeitet haben.“Dies sei ein Hauptgrund für die Altersarmut der Frauen.
Zusätzlich wünscht sich Pöcheim, dass auch bei der Elternteilzeit so wie bei der Altersteilzeit die Sozialversicherungsbeiträge in der vollen ursprünglichen Höhe weiterlaufen sowie dass eine bessere Absicherung bzw. Wiedereinstiegsmöglichkeit für pflegende Angehörige geschaffen wird. „Ein Zuschuss, wie ihn die Regierung plant, ist da zu wenig. 80 Prozent der Pflegefälle werden von ihren Angehörigen betreut, meist sind das die Töchter, die dafür eine schlechte Altersversorgung in Kauf nehmen müssen.“
Claudia Gigler
Herr Minister, Sie dürfen als Einziger der Übergangsregierung weitermachen. Was ist das für ein Gefühl?
ALEXANDER SCHALLENBERG: Das eines Neuanfangs. Mit der geschäftsführenden Bundesregierung waren wir in einer Phase des Verwaltens. Mit einem klaren Regierungsprogramm und einer Mehrheit im Nationalrat können wir jetzt gestalten.
Was für Akzente werden Sie in der Außenpolitik setzen?
Wichtig ist mir, dass wir gemeinsam mit Sebastian Kurz und Karoline Edtstadler erstmals eine Außen- und Europapolitik aus einem Guss machen. Mein Fokus wird auf Multilateralismus, Menschenrechten Klimaschutz und Abrüstung liegen, wo Österreich besondere Glaubwürdigkeit hat. Ich will Wien als Ort des Dialoges stärken. Dann gibt es noch die traditionellen Schwerpunkte: die Nachbarschaftspolitik am Westbalkan und die strategischen Partnerschaften mit Russland, China und den USA.
Wäre es für eine Europa- und Außenpolitik aus einem Guss nicht besser, auch die Europaagenden bei Ihnen zu belassen?
Die Eu-kompetenzen sind bereits seit 2017 im Kanzleramt sehr gut aufgehoben. Denn der Europäische Rat hat im Institutionenkonzert der EU eine zentrale Rolle. Wir werden sehr eng zusammenarbeiten. Es wird kein Löschblatt zwischen uns passen.
Sie waren gerade in Brüssel. Wie sieht man dort Türkis-grün?
Sehr positiv. Die Aufmerksamkeit ist groß. Alle haben die Regierungsbildung mitverfolgt.
Könnte die neue Koalition Modellcharakter für Europa haben?
Es wäre vermessen, zu glauben, dass Österreich Modell ist. Aber Vorreiter sind wir jetzt in Europa schon irgendwie.
Die neue Regierung bekennt sich klar zu Europa. Schmerzt es Sie, dass die EU so schwach ist?
Die EU ist weltpolitisch nicht so schwach, wie man es immer wieder in europäischen Medien darstellt.
Sie ist nicht einmal in der Lage, vor der eigenen Haustür, in Syrien, in Libyen Ordnung zu schaffen.
Kein internationaler Partner schafft das alleine, auch nicht die Amerikaner. Das wird nur gelingen, wenn es eine gemeinsame Anstrengung der internationalen Gemeinschaft gibt und ein Minimum an Willen der jeweiligen Konfliktparteien.
Was hat die EU aggressiven globalen Mächten wie Russland und China entgegenzusetzen?
Das europäische Lebensmodell ist weiterhin sehr attraktiv. Wir Europäer können es mit einem Quäntchen Selbstvertrauen durchaus aktiver in der Welt vertreten.
Am Balkan schwindet Europas Glanz. Wie groß ist die Gefahr, dass die Region abdriftet?
In der Politik gibt es kein Vakuum. Wenn Europa den Anschein erweckt, sich vom Westbalkan zurückzuziehen, werden andere Akteure, Russland, China, die Türkei, nachstoßen. Das kann nicht in unserem Interesse sein. Wir wollen, dass alle Staaten des Westbalkan irgendwann Teil der Eu-familie sind.
Der gefährlichste Konfliktherd ist derzeit der Persische Golf. Wird es Krieg mit dem Iran geben?
Die unmittelbare Gefahr ist nicht mehr so akut wie vor einigen Tagen. Aber leider sind wir weit davon entfernt, Entwarnung geben zu können. Die Lage ist unglaublich angespannt.
Teheran hat nun offiziell den Abschuss des ukrainischen Passagierflugzeugs zugegeben. Soll die EU neue Sanktionen verhängen?
Der Iran hat diesen Schritt gesetzt. Das ist positiv zu vermerken. Der Abschuss war eine bedauerliche Katastrophe. Die
Europa hat belastbare Beziehungen und Dialogkanäle zu beiden Konfliktparteien, zu den USA und zum Iran. Beides sollten wir jetzt einsetzen. Denn womit wir gegenwärtig konfrontiert sind, ist auf Französisch ein „dialogue de sourds“, ein Sich-anschweigen.
harscher Ablehnung eines Eu-beitritts der Türkei?
Österreich hat hier eine glasklare Linie. Wir sehen für die Türkei keine Beitrittsperspektive, lehnen diese klar ab. Das Land entfernt sich seit vielen Jahren von der EU. Wir treten daher dafür ein, dass die Beitrittsverhandlungen auch formell eingestellt werden. Zugleich müssen wir anerkennen, dass das noch nicht die Einstimmigkeit aller Mitgliedsstaaten findet.
Ist diese Härte klug? Die EU ist bei der Migration auf Erdog˘ an als Schleusenwärter angewiesen.
Ich unterscheide klar zwischen der Eu-beitrittsperspektive der Türkei und der Migrationsfrage. Aber eines ist klar. Die EU darf sich von der Türkei nicht erpressen lassen. Es kann nicht sein, dass Ankara mit dem Öffnen der Migrationsschleusen droht oder zusätzliche Gelder zu erpressen versucht.
Der Brexit naht. Was verliert Europa mit Großbritannien?
Vieles. Großbritannien ist eine der größten Volkswirtschaften. Es ist ein Staat, der sehr viel einbringen konnte in die europäische Außen- und Sicherheitspolitik, ein Staat mit einem ständigen Sitz im Un-sicherheitsrat. Aber auch ein Land mit globalem Blick, das einen ganz eigenen Zugang zur Gemeinschaft hatte und sich immer gegen Überregulierung gewehrt hat. Das hat auch sein Gutes gehabt. Jetzt geht es darum, mit Hochdruck ein Abkommen mit dem Vereinigten Königreich abzuschließen. Der Brexit ist nur der erste Schritt, der längst hätte erfolgen sollen. Wir wollen ein engstmögliches Beziehungsgeflecht mit London – in der Sicherheits- und Außenpolitik, der Wirtschaft und beim Zugang zum Binnenmarkt.
Wäre ein zu enges Geflecht nicht Anreiz für andere Mitgliedsstaaten, es Großbritannien gleichzutun und die EU zu verlassen?
Ich denke, die Erfahrung der letzten zweieinhalb Jahre des Brexit waren Abschreckung genug.