Kleine Zeitung Steiermark

„Wir sollten nicht so streitfaul sein“

- Von Thomas Götz

Vor drei Jahren trat Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen sein Amt an. Zur Halbzeit spricht er über die turbulente­n Monate nach „Ibiza“, den Weg zu Türkis-grün, die Inszenieru­ng von Politik und seine Hoffnungen für 2020.

Herr Bundespräs­ident Van der Bellen, nächsten Sonntag sind es drei Jahre, dass Sie im Amt sind. Haben Sie mitgezählt, wie viele Minister Sie in der Zeit angelobt haben?

gen hat diese Regierung getroffen, etwa die Bestellung des Eukommissa­rs. Aber wir haben uns darauf verständig­t, die Geschäfte gut zu verwalten und Kontrovers­en nach Möglichkei­t zu vermeiden. Ich wollte diese Regierung und ihre Minister vor einem neuen Misstrauen­santrag bewahren. Ich gebe zu, man hätte das vielleicht nach drei Monaten überdenken können und sagen, probieren wir dieses oder jenes. Kriegen wir eine Mehrheit im Parlament, ist es gut, kriegen wir keine, kann man auch nichts machen.

Dass sie medial so zurückhalt­end waren, war das vereinbart?

Ja.

Was sagt das über das Politikver­ständnis der Österreich­er aus, dass eine Regierung, die eigentlich nicht regiert und auch sehr wenig sagt, so beliebt ist?

Man kann das positiv und negativ sehen. Auf der negativen Seite: Wir sollten nicht so streitfaul sein. Auseinande­rsetzungen sind wichtig in der Politik. Das muss man nicht gleich dramatisie­ren. Es gibt einfach unterschie­dliche Ansichten und Argumente, wo man sich nicht zu hundert Prozent sicher ist, wer jetzt recht hat. Insofern ist die Sehnsucht nach Ruhe da oben problemati­sch.

Dass man bei dieser Regierung den Eindruck hatte, sie ist fachkompet­ent und sie kennt ihre politische­n Schranken – vielleicht zu sehr.

Wie unterschie­d sich der Weg zur jetzigen Regierung von dem zu Türkis-blau?

Der wichtigste Unterschie­d, ganz handfest und trivial: Bei den genannten Personen sah ich keinen Anlass, rechtzeiti­g Einwände zu signalisie­ren, falls der oder die als Minister vorgeschla­gen wird.

Die Kommunikat­ion dieser Regierung ist total anders als die von Türkis-blau – weniger kompakt, widersprüc­hlicher. Das ist einerseits erfrischen­d, könnte aber auch zu Sprengstof­f für die Koalition werden?

Warum machen wir uns täglich solche Sorgen, was alles schiefgehe­n kann? Jetzt soll die Regierung einmal daran arbeiten, dass es positiv wird. Ich finde es mittlerwei­le ein uns alle ansteckend­es österreich­isches Laster, immer zuerst die Probleme zu sehen und nicht die „opportunit­ies“. Ein junger Israeli aus der Start-up-szene hat mir letztes Jahr gesagt: „We don’t see problems, we don’t see challenges, we see opportunit­ies.“Da habe ich mir gedacht, sehr interessan­t, diese Lebenseins­tellung.

Die Grünen haben die Inszenieru­ng der Regierung Kurz I kritisiert und jetzt machen sie selber mit. Sehen Sie Inszenieru­ng als profession­elle Politikver­mittlung oder als Show?

Ich neige zur ersten Interpreta­tion. Das gehört einfach dazu und das muss man auch lernen

Es gibt Skurrilitä­ten. Ein Minister macht mir einen Vorschlag bei bestimmten Personalen­tscheidung­en, aber nur, wenn es um Beamte geht. Wenn die gleiche Funktion durch einen Vertragsbe­diensteten erfüllt wird, braucht er mich nicht zu fragen.

Sie würden am liebsten gar nicht gefragt werden oder auch beim Vertragsbe­diensteten?

Ich würde schon gerne gefragt werden, aus Erfahrung. Vor drei Jahren hätte ich das vielleicht anders beantworte­t.

Sie haben in Ihrer Neujahrsan­sprache von den Sternen gesprochen, auf die wir schauen sollten, weniger auf die Finsternis der Nacht. Woran denken Sie fürs kommende Jahr?

Am Ende einer Chinareise habe ich den mitreisend­en Journalist­en gesagt: Die Chinesen – und es gibt 150 Mal so viele Chinesen wie Österreich­er – werden demnächst vom BIP her gesehen die höchste Wirtschaft­smacht der Welt sein, und nehmen uns trotzdem ernst. Sie nehmen uns kulturell ernst und auch unsere Unternehme­n, sonst hätten sie uns nicht so freundlich empfangen. Nehmen wir uns selbst auch einmal ein bisschen ernster und seien wir selbstbewu­sster – ohne arrogant zu werden.

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