„Wir sollten nicht so streitfaul sein“
Vor drei Jahren trat Bundespräsident Alexander Van der Bellen sein Amt an. Zur Halbzeit spricht er über die turbulenten Monate nach „Ibiza“, den Weg zu Türkis-grün, die Inszenierung von Politik und seine Hoffnungen für 2020.
Herr Bundespräsident Van der Bellen, nächsten Sonntag sind es drei Jahre, dass Sie im Amt sind. Haben Sie mitgezählt, wie viele Minister Sie in der Zeit angelobt haben?
gen hat diese Regierung getroffen, etwa die Bestellung des Eukommissars. Aber wir haben uns darauf verständigt, die Geschäfte gut zu verwalten und Kontroversen nach Möglichkeit zu vermeiden. Ich wollte diese Regierung und ihre Minister vor einem neuen Misstrauensantrag bewahren. Ich gebe zu, man hätte das vielleicht nach drei Monaten überdenken können und sagen, probieren wir dieses oder jenes. Kriegen wir eine Mehrheit im Parlament, ist es gut, kriegen wir keine, kann man auch nichts machen.
Dass sie medial so zurückhaltend waren, war das vereinbart?
Ja.
Was sagt das über das Politikverständnis der Österreicher aus, dass eine Regierung, die eigentlich nicht regiert und auch sehr wenig sagt, so beliebt ist?
Man kann das positiv und negativ sehen. Auf der negativen Seite: Wir sollten nicht so streitfaul sein. Auseinandersetzungen sind wichtig in der Politik. Das muss man nicht gleich dramatisieren. Es gibt einfach unterschiedliche Ansichten und Argumente, wo man sich nicht zu hundert Prozent sicher ist, wer jetzt recht hat. Insofern ist die Sehnsucht nach Ruhe da oben problematisch.
Dass man bei dieser Regierung den Eindruck hatte, sie ist fachkompetent und sie kennt ihre politischen Schranken – vielleicht zu sehr.
Wie unterschied sich der Weg zur jetzigen Regierung von dem zu Türkis-blau?
Der wichtigste Unterschied, ganz handfest und trivial: Bei den genannten Personen sah ich keinen Anlass, rechtzeitig Einwände zu signalisieren, falls der oder die als Minister vorgeschlagen wird.
Die Kommunikation dieser Regierung ist total anders als die von Türkis-blau – weniger kompakt, widersprüchlicher. Das ist einerseits erfrischend, könnte aber auch zu Sprengstoff für die Koalition werden?
Warum machen wir uns täglich solche Sorgen, was alles schiefgehen kann? Jetzt soll die Regierung einmal daran arbeiten, dass es positiv wird. Ich finde es mittlerweile ein uns alle ansteckendes österreichisches Laster, immer zuerst die Probleme zu sehen und nicht die „opportunities“. Ein junger Israeli aus der Start-up-szene hat mir letztes Jahr gesagt: „We don’t see problems, we don’t see challenges, we see opportunities.“Da habe ich mir gedacht, sehr interessant, diese Lebenseinstellung.
Die Grünen haben die Inszenierung der Regierung Kurz I kritisiert und jetzt machen sie selber mit. Sehen Sie Inszenierung als professionelle Politikvermittlung oder als Show?
Ich neige zur ersten Interpretation. Das gehört einfach dazu und das muss man auch lernen
Es gibt Skurrilitäten. Ein Minister macht mir einen Vorschlag bei bestimmten Personalentscheidungen, aber nur, wenn es um Beamte geht. Wenn die gleiche Funktion durch einen Vertragsbediensteten erfüllt wird, braucht er mich nicht zu fragen.
Sie würden am liebsten gar nicht gefragt werden oder auch beim Vertragsbediensteten?
Ich würde schon gerne gefragt werden, aus Erfahrung. Vor drei Jahren hätte ich das vielleicht anders beantwortet.
Sie haben in Ihrer Neujahrsansprache von den Sternen gesprochen, auf die wir schauen sollten, weniger auf die Finsternis der Nacht. Woran denken Sie fürs kommende Jahr?
Am Ende einer Chinareise habe ich den mitreisenden Journalisten gesagt: Die Chinesen – und es gibt 150 Mal so viele Chinesen wie Österreicher – werden demnächst vom BIP her gesehen die höchste Wirtschaftsmacht der Welt sein, und nehmen uns trotzdem ernst. Sie nehmen uns kulturell ernst und auch unsere Unternehmen, sonst hätten sie uns nicht so freundlich empfangen. Nehmen wir uns selbst auch einmal ein bisschen ernster und seien wir selbstbewusster – ohne arrogant zu werden.