Wenn die dunkle Seite der Welt plötzlich leuchtet
Der britische Naturautor Robert Macfarlane reist mit uns unter die Oberfläche der Erde.
In den Katakomben von Paris war der eine oder andere Reisende vielleicht schon. Es ist nicht die schönste Seite der Stadt der Liebe, aber eine faszinierende. Aber wer war schon in einem Atommülllager in Finnland, in einer Gletscherhöhle in Grönland oder kennt gar die Schönheit des Bodens im Wurzelwerk unter einem Baum? Robert Macfarlane ist ein begnadeter und zugleich einer der bedeutendsten Naturschriftsteller. Schon vor einigen Jahren hat die deutschsprachige Leserschaft ihre Begeisterung für die Gattung Nature Writing – also der fiktionalen oder nichtfiktionalen Naturbeschreibung vor allem mit Macfarlanes „Karte der Wildnis“entdeckt. Und nun hat der 43-jährige Brite aus Nottinghamshire grandios nachgelegt. Der Literaturwissenschaftler und Essayist kann den Horizont erweitern, obwohl er in die Unterwelt der Erde hinabsteigt. „Im Unterland“befinden sich Orte, in den Menschen Dinge entsorgen, ihre Toten vergraben, Schätze verstecken und Rohstoffe bergen, dort lauern aber auch große mythische Geheimnisse, die über alle Zeiten und alle Kulturen hinweg in der Erde vermutet und verortet wurden – weil man unter den Füßen ebenso wenig sehen konnte wie fernab des Kopfes im Himmel.
Macfarlane öffnet diese dunkle Seite unter der Oberfläche der Erde für den Leser und beleuchtet sie in seinem unglaublich pulsierenden Erzählstil, der den Leser praktisch mit nach unten zieht. Für den Briten lag die Faszination im Blick nach unten im Gegensatz zu seinem Blick nach oben, den er zuvor über Jahre verfolgt hatte, vor allem auf Bergen. Für ihn sind sowohl die Höhen als auch die Tiefen Berührungspunkte von Sprache und Landschaft, Urorte der Zivilisation, Schnittstellen von Gut und Böse. An dieser Faszination lässt er teilhaben, weit über das Beschreibende hinaus. Menschen vergraben, was ihnen wertvoll ist, und schürfen gleichzeitig, was sie als Schätze der Erde erachten. Der Autor will mit seinem Blick nach unten das Bewusstsein schärfen für die Bedeutung des Unterlandes für das Überleben der Menschheit. Ingo Hasewend
Robert Macfarlane: Im Unterland. Eine Entdeckungsreise in die Welt unter der Erde. Penguin. 560 Seiten. 24,70 Euro.