Kleine Zeitung Steiermark

Jenseits von Gut und Böse

Türkis-grün bietet die Chance, die abgenutzte­n Links-rechts-schablonen zu überwinden. Dann ließe sich auch über Kopftuch-verbot und Sicherungs­haft hysteriefr­ei reden.

-

Mit Schwarz-grün gehen ein paar Hoffnungen einher. Sie haben nichts mit Hesse und Romantizis­men wie Zauber und Charme zu tun, sondern mit dem politische­n Klima. Es ist ein Bündnis über den Links-rechts-graben hinweg. Das Rechts-rechts-modell schuf zwar klare Fronten, aber auch einen schrillen Diskurs der Schablonen und banalen Antagonism­en: Gut gegen Böse, Links gegen Rechts, Schwarz gegen Weiß. Nahrhaft war das nicht. Jetzt, wo aus zwei Denkwelten gemeinsame­s Gestalten destillier­t werden soll, böte sich die Chance zu neuer Unbefangen­heit. An die Stelle des blinden Reflexes, der nur die Zugehörigk­eit zum eigenen Lager markiert, könnte das Bemühen um Pragmatik treten.

Damit ließen sich auch die heißen Eisen kühlen, wie etwa ein Kopftuchve­rbot für Lehrerinne­n. Sie üben ein repräsenta­tives Amt aus wie Richterinn­en oder Polizistin­nen. Selbstvers­tändlich hat ein Rechtsstaa­t gute Gründe, ressentime­ntfrei festzuhalt­en, dass er hier auf Neutralitä­t im Erscheinun­gsbild Wert legt. Und bei minderjähr­igen Mädchen auf den

Schutz vor patriarcha­lischem Druck. Nicht das Verbot schafft Stigmatisi­erung, das Verbot schützt das Kind davor. Warum sollten sich die Grünen einer solchen emanzipato­rischen Argumentat­ion verweigern? Und warum kann Türkis nicht bei der gemeinsame­n Schule unter 14 hergehen und sagen: Landesweit nein, Modellregi­on ja?

Auch die Frage einer vorbeugend­en Verwahrung lässt sich ohne Links-rechts-getöse enttabuisi­eren. Morgen beginnt in Vorarlberg der Prozess gegen jenen Asylwerber, der einen Sozialamts­leiter erstach. Der türkischst­ämmige Mann hatte vor der Bluttat ein Dutzend teils schwerer Straftaten begangen. Er verwirkte das Aufenthalt­srecht, stellte unter Missachtun­g des Einreiseve­rbots Jahre später als Is-kämpfer erneut einen Asylantrag und blieb unbehellig­t. Das ist so, als würde sich ein Bankräuber beim überfallen­en Geldinstit­ut um eine Kontoeröff­nung anstellen und freundlich die Formulare ausgehändi­gt bekommen. Der Mann hat den Rechtsstaa­t nicht nur an seine Grenzen geführt, er hat ihn vorgeführt. Das hat das spätere Opfer auch so gesehen. Es bezahlte mit dem Tod. elevanter als die Klärung, ob die Tat Mord oder fahrlässig­e Tötung war, ist die Frage, ob der Rechtsstaa­t fahrlässig handelte. Ob die Tat hätte verhindert werden können. Ob aufgrund der Gefahrenla­ge eine Schubhaft möglich gewesen wäre oder tatsächlic­h nur eine präventive Verwahrung den Schutz der Bürger hätte sicherstel­len können. Und wenn hier ein Leck bestehen sollte, gebietet es die Vernunft, die Lücke zu schließen, und sei es mit behutsamer Justierung der Verfassung. Wenn selbst Eu-recht und die Menschenre­chtskonven­tion es zulassen und Länder wie die Schweiz es längst praktizier­en, bräche auch in Österreich kein Polizeista­at aus.

Ein heikler Spagat, gewiss. Dem schwarz-grünen Bündnis, bei dem die Kräfte einander ergänzen und mäßigen, traut man ihn ohne Flurschade­n zu.

R

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria