Von der Spannung der Freude
Hanna-barbara Gerl-falkovitz, Institut für Philosophie TU Dresden
Für das neue Jahr lässt die Kirche einen Mann sprechen, der eine Vision bis zum Ende der Erde, ja noch viel weiter – bis zum Ende der Zeit – formuliert. Wenige Stimmen überdauern Jahrtausende. Diese Stimme hat ihre eigene Zeit übersprungen: Sie zeichnet den großen Geschichtsentwurf Gottes. Schon der erste Teil ist unerhört und damals auch unwahrscheinlich: Der „Knecht“soll Israel wieder „heimführen“. Der Prophet, vermutlich ein zweiter Gleichnamiger nach dem ersten Jesaja, reißt einen Horizont vor dem nach Babylon verschleppten Volk auf.
Das klingt nach fast unmöglicher Arbeit. Aber die eigene Heimat, wäre sie endlich erreicht, ist nicht Ziel, sie ist nur Ausgang für eine andere göttliche Aktion. Ein Zweites wird daraufgesetzt: Die eigene Auserwählung als Gottes Liebling ist auf andere Völker, auf Nichtisrael zu weiten. Es soll Licht für alle, Heil für alle werden.
Das ist mehr als eine Vision. Wer so schreibt, hat den Weltbaumeister selbst gesehen. Nicht die Heimat, sondern die Welt ist die Arena Gottes und
Kampfplatz der Seinen. Und das in einer Zeit, als die antiken Völker ihr eigenen Götter schufen, ihre eigene Macht anderen aufzwangen, ihre eigenen Grenzen sicherten.
Heute reden wir von Globalität und meinen Freihandelszonen, Aufhebung der Grenzkontrollen, internationalen Austausch von Wissenschaft und Forschung, gemeinsame Währung. Jesaja meinte ein Reich des Herrn. Was bedeutet das?
Jahrhunderte nach ihm erschien „der“Knecht; er nannte sich selbst das „Licht der Welt“. Für solche Worte wurde er ausgelöscht. Noch nicht erschienen ist das versprochene sichtbare Heil für alle, das endgültige Aufleuchten einer Herrlichkeit. Dieses Ende meint nicht Abschluss, sondern Voll-endung. Heute wächst eine Spannung der Angst, seit manches Apokalyptische sich andeutet, seit das Klima uns in Panik versetzt, zu Recht oder Unrecht. Aber Jesaja spricht von der Spannung der Freude. In seinen Worten steckt Gewissheit, es werde gut, mehr als gut, wenn man ihn nur endlich sehen darf. „Dein Gesicht unsere Heimat.“