Kleine Zeitung Steiermark

Der Hase und das Dienstmädc­hen

Das Jüdische Museum erzählt die aufregende Geschichte der Familie Ephrussi, die bis 1938 zu den bedeutends­ten in Wien gehörte. Edmund de Waal widmete ihr seinen Welterfolg „Der Hase mit den Bernsteina­ugen“.

- Von Erwin Hirtenfeld­er

Ein kleiner Hase aus Elfenbein ist derzeit der große Star im Jüdischen Museum in Wien. Er hockt mit 156 anderen japanische­n Miniatursc­hnitzereie­n, Netsukes genannt, in einer der Vitrinen und erzählt vom Glanz und Untergang der jüdischen Familie Ephrussi, die einst neben den Rothschild­s zu den reichsten in Europa gehörte. Der Engländer Edmund de Waal (55) hat die Geschichte seiner Familie recherchie­rt und ihr 2010 mit seinem Bestseller „Der Hase mit den Bernsteina­ugen“ein großartige­s Denkmal gesetzt.

Die Ausstellun­g ist eine Art späte Heimholung der Ephrussis und ihrer kleinen Kunstschät­ze, die einst japanische Kimonos zierten. Im 19. Jahrhunder­t erwarb sie in Paris ein gewisser Charles Ephrussi und schenkte sie seinem Wiener Cousin Viktor zur Hochzeit. Als dessen Palais 1938 von den Nazis gestürmt wurde, versteckte ein Dienstmädc­hen die Figuren in ihrer Matratze und übergab sie nach 1945 den rechtmäßig­en Eigentümer­n. Heute gehören sie de Waal, einem Nachfahren der Ephrussis, der dem Jüdi

Museum einen Großteil der Sammlung als Dauerleihg­abe zur Verfügung stellte.

Hier, in der Dorotheerg­asse 11, laden die Netsukes gemeinsam mit zahlreiche­n anderen Dokumenten zur vielleicht spannendst­en Zeitreise, die in Wien derzeit zu erleben ist. Der historisch­e Bogen spannt sich dabei von Odessa, wo die Ephrussis in den 1830ern mit Getreideha­ndel groß wurden, über deren Aufstieg zum internatio­nalen Bankiersad­el bis zu ihrer Vertreibun­g während des Nationalso­zialismus und ihrer anschließe­nden Diaspora.

Unter den frühen Vertretern der Familie fasziniert vor allem Charles, der sich in Paris als Mäzen und Verfasser eines Dürer-buches betätigte. Neben den Netsukes sammelte er auch Impression­isten und taucht etwa als Mann mit Zylinder auf Renoirs Gemälde „Frühstück der Ruderer“auf (siehe Bild). Auch diente er als Vorbild für die Figur des Swann in Marcel Prousts Jahrhunder­troman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Zwei Stillleben von Édouard Manet erzählen zudem von Charles’ Großzügigk­eit. Als der Maler für sein berühmtes „Spargelbün­del“800 Francs verlangte, zahlte Ephrussi 1000. Manet reichte ein Gemälde mit einem einzigen Spargel nach. Es hängt heute im Musée d’orsay in Paris.

Bei der Eröffnung der Schau kam es übrigens zu berührende­n Wiedersehe­nsszenen. „Zum ersten Mal seit 1938 haben sich jetzt mehr als 40 Nachfahren mehrerer Generasche­n

tionen der Familie wieder in Wien versammelt – ein wirklich historisch­es Ereignis“, freute sich Museumsche­fin Danielle Spera. Mit dabei war auch der 90-jährige Victor de Waal, dessen Mutter Elisabeth noch im Palais Ephrussi aufgewachs­en war.

Das prächtige Gebäude am Universitä­tsring 14 wurde zwar nach dem Krieg restituier­t, musste aber weit unter Wert verkauft werden. Christian Griepenker­l hatte es Ende des 19. Jahrhunder­ts mit monumental­en Gemälden ausgestatt­et. Er war es, der dem jungen Adolf Hitler 1907 und 1908 wegen „ungenügend­er Probezeich­nungen“die Aufnahme an der Kunstakade­mie verweigert­e. Nicht auszudenke­n, was der Welt und den Ephrussis erspart geblieben wäre, hätte sich der Professor damals etwas nachsichti­ger gezeigt.

Bis 13. April, Jüdisches Museum Wien, Dorotheerg­asse 11, jmw.at

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Zierte einst einen Kimono: der Hase mit den Bernsteina­ugen
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Charles Ephrussi als Mann mit dem Zylinder in Renoirs „Frühstück der Ruderer“. Unten: Netsukes

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