„Wie ein alter Bursche auf der Walz“
Paul Kaiserfeld ist seit fast 20 Jahren arbeitslos. Eine Geschichte über Lehre(n), Notstand, aber auch Tatenkraft, neuen Mut und hoffnungsvolles Warten.
Paul Kaiserfeld kommt aus der Frühmesse: blauer Schal, grüner Trachtenjanker, gelbe Hose und bordeauxrote Schuhe.
Der Gottesdienst ist ein Fixpunkt für ihn, gibt dem gläubigen Christen Struktur. Wie jeden Tag ist er um 5.30 Uhr aufgestanden, hat bereits gefrühstückt und seine Wohnung zusammengeräumt.
Bunt wie Kaiserfelds Kleidung ist auch sein Lebenslauf. Der 54-Jährige war schon Studienassistent, Pharmareferent oder selbstständiger Verkäufer von Anzeigen und Nahrungsergänzungsmitteln. Seit 2002 ist er arbeitslos oder in Schulungen.
„Die Krise fängt ab der Jahrtausendwende an“, erzählt Kaiserfeld, „ich war schon 45, mit diesem Alter ist man auf dem österreichischen Arbeitsmarkt schon ziemlich out.“
Der Gast- und Landwirtssohn aus St. Marein bei Knittelfeld hat die Matura gemacht, anschließend ein Medizinstudium begonnen und bis zum zehnten Semester durchgehalten. „Ich wollte neben dem Job in der Pharmaindustrie fertigstudieren, aber das ist sich nicht ausgegangen.“Zu fordernd sei der Beruf gewesen, dazu kamen Turbulenzen und Schicksalsschläge in der Familie. Dass er das Studium nicht abgeschlossen hat, bereut der 54-Jährige bis heute: „Es war die Lehre meines
Lebens: Was man anfängt, man auch fertig machen.“
1992 wird Kaiserfeld nach zwei Jahren von der Pharmafirma gekündigt, im Jahr darauf geht seine Ehe in die Brüche, es folgen Schulden. „Über 1000 Bewerbungen im Pharmabereich habe ich geschrieben und nur auf fünf eine Antwort bekommen“, sagt er. Lediglich eine war eine Einladung zum Bewerbungsgespräch. „Ich hätte Pakete ausgeführt, alles Mögliche, nur damit ich einen Job kriege.“
Auf dem Tisch in Kaiserfelds Wohnung liegen Bildbände des deutschen Motorsportfotografen Rainer W. Schlegelmilch. Während er über seine langjährige Arbeitssuche spricht, schweift er ab, spricht über die Kulturszene, über Schlegelmilch-ausstellungen, die er kuratiert hat. Oder über seinen Vorfahren, den steirischen Landeshauptmann Moritz von Kaiserfeld, über Wirtschaft, über Kirchliches.
soll
Euro Notstandshilfe bezieht der 54-Jährige monatlich, bei Fixkosten von 700 Euro. „Damit kann ich nicht überleben, ich habe Freunde, die mich unterstützen“, sagt Kaiserfeld. „Ich hatte Phasen der Obdachlosigkeit, in Summe drei Monate, und habe auch unter der Brücke gewohnt.“
Im Mai des Vorjahres ist er von Graz nach Gleisdorf gezo
gen, schön langsam hat er es sich in der Wohnung gemütlich eingerichtet. Was auffällt, sind die vielen Bücher, die eine Wand des Schlafzimmers fast vollständig einnehmen.
Zu Büchern hat Kaiserfeld eine ganz besondere Beziehung: 2016 beginnt er eine Lehre als Buchbinder: „Ich habe vom AMS mega-maximale Unterstützung gekriegt und neue Hoffnung geschöpft.“Etwa als außerordentlicher Schüler in der Berufsschule; die Berufspraxis hat er in Form von verschiedenen Praktika, unter anderem im Steiermärkischen Landesarchiv, gesammelt. „Wie ein alter Handwerksbursche zog ich auf der Walz von Betrieb zu Be
trieb“, berichtet Kaiserfeld. Im Juli 2019 erfolgte schließlich der positive Lehrabschluss. r habe bereits die Zusage von Landesrat Christopher Drexler für eine Stelle im Landesarchiv, so Kaiserfeld. Seit Sommer würden die Bewerbungsunterlagen bei der Personalabteilung liegen. Derzeit ist kein passender Dienstposten frei. Drexler bemühe sich aber weiterhin um eine Perspektive für Herrn Kaiserfeld, heißt es aus dem Büro des Landesrats.
„Ich wäre gerne bereit, bis 70 zu arbeiten“, sagt Kaiserfeld, „mein Pensionsvorbescheid schaut trist aus. Von der Notstandshilfe in die Altersarmut, ist das eine Perspektive?“
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