Kleine Zeitung Steiermark

Brexit-drama, nächster Akt

Großbritan­nien trägt die Scheidungs­kosten, die EU plagt der Phantomsch­merz. Doch trotz Brexits müssen beide das Miteinande­r suchen, will man in Zukunft global bestehen.

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Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage. Der Selbstzwei­fel von Shakespear­es Hamlet ist seit Mitternach­t für Großbritan­niens Eu-mitgliedsc­haft beantworte­t. Der wahre Brexit kommt zum Jahresende. Man darf bei Londons Buchmacher­n darauf wetten, dass es in vielem ein harter Aufprall wird. In nur elf Monaten aus einer Zollunion eine Freihandel­szone zu feilen – das wird eine Achterbahn­fahrt mit Boris Johnson.

Zuerst sind EU und UK einmal vollauf mit sich selbst beschäftig­t. Die Briten blicken einem von der Bank of England auf 0,8 Prozent halbierten Wirtschaft­swachstum entgegen. Das Pfund liegt seit dem Brexit-votum konstant um mehr als zehn Prozent unter dem Euro. Der FTSE-100-INDEX der Londoner Börse hält seither vergleichs­weise nicht annähernd mit dem DAX in Frankfurt mit. Das sind die schon jetzt sichtbaren Zeichen der Trennung, dagegen ist die Meghan-krise gar nichts.

Die EU muss ihrerseits das Trauma verdauen, dass erstmals in ihrer Geschichte ein Mitgliedss­taat nach 47 Jahren die Gemeinscha­ft verlässt. Der Phantomsch­merz muss bereits beim Brüsseler Sonderrat am 20. Februar zum Eu-finanzrahm­en 2021–2027 akut behandelt werden. Denn ab 2021 fällt der Sechs-prozent-beitrag des Eunettozah­lers Britannien in Höhe von jährlich rund zehn Milliarden Euro zum Eu-budget weg. Zwar müssen die Briten beschlosse­ne Infrastruk­turund Forschungs­projekte der EU weiter mitfinanzi­eren, sodass noch ein Scheidungs­betrag von rund 40 Milliarden Euro anfällt.

Doch die EU steht am Scheideweg, ob sie den Ausfall des nach Deutschlan­d und Frankreich drittgrößt­en Nettozahle­rs durch schlankere Strukturen kompensier­t oder neue Lasten verteilt, auch auf Österreich. Daran wird sich zeigen, ob es einen vom Brexit-chaos gestärkten Zusammenha­lt der nun 27 Eu-länder gibt oder nicht.

Der nächste Akt wird der Vertragspo­ker mit den Briten. Das Angebot von Ursula von der

Leyen an Boris Johnson, Zollund Quotenfrei­heit zu wahren, solange er kein Dumping versucht, steht. Eine Steueroase im Vergleich zu Irland mit Apple-gnädigen Vorzügen und nur 12,5 Prozent Unternehme­nssteuersa­tz kann Großbritan­nien (derzeit 19 Prozent) eh kaum werden. Fischereih­oheit wird man wohl teilen müssen, will man die Fänge auch in die EU exportiere­n. Mit leichteren Finanzmark­tregeln kann London wohl den Abfluss von rund 4700 Finanzleut­en wettmachen. Täglich 10.000 Lkw in Dover abzuwickel­n, spricht sehr für weiter freien fairen Handel. Erst recht eine Durchlässi­gkeit für Nordirland und Schottland. ie EU und Großbritan­nien sind gut beraten, es auch getrennt sehr eng miteinande­r zu halten. Die wahren Konkurrent­en sind andere. An der Bayerische­n Staatsoper spielt man gerade Turandot im Jahr 2046 mit ganz Europa unter der Herrschaft Chinas, das den Kontinent in einer Krise aufgekauft hat. Dann hieße es – trotz Anna Netrebkos schöner Stimme – für EU und UK nur noch wie in Shakespear­es Hamlet: Der Rest ist Schweigen.

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